"Die Gelegenheit, den Zuschauern ein paar Minuten des Lachens zu schenken, ist sehr wertvoll."
Interview mit Chuck Lorre
- Veröffentlicht: 10.01.2018
- 12:01 Uhr
Der Erfinder von The Big Bang Theory Chuck Lorre verrät im Interview mit ProSieben sein Erfolgsgeheimnis und wieso gerade Jim Parsons' Charakter Sheldon eine eigene Serie bekommen hat.
"The Big Bang Theory" ist eine der am meisten gesehenen Serien der Welt und die erfolgreichste Serie in Deutschland. Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis ihres Erfolges?
Lorre: "Da kann ich nur raten. Ich glaube, intelligente Charaktere haben etwas Universelles. Aber das reicht nicht aus, um Beziehungen zu verstehen – romantische, innerhalb der Familie, mit Freunden oder Kollegen. Intelligenz hilft dir bei diesen Dingen nicht unbedingt weiter. Die Leute verstehen das und können sich damit identifizieren, denn schlau zu sein beantwortet solche Fragen nicht. Es ist eine andere Art von Intelligenz, die einem durchs Leben hilft."
Identifizieren sich die Zuschauer mehr mit den Nerd-Jungs oder mit Penny?
Lorre: "Das ist unterschiedlich. Aber es gibt ein universelles Thema: Wir alle kämpfen damit, Beziehungen zu verstehen. Manche von uns bilden sich wie Sheldon sehr viel auf ihre Fähigkeiten ein und scheitern dennoch immer wieder. Er versteht nicht, wie das funktioniert. Und auch den anderen Figuren fehlen bestimmte life skills. Das ist der Punkt, an dem sich die Zuschauer mit ihnen verbunden fühlen. Sie verstehen, wie es ist, in einem Raum mit einer schönen Frau zu sein und aus Angst vor Zurückweisung nicht mit ihr reden zu können. Das verstehen sowohl Frauen wie Männer. Außerdem benehmen sich die Figuren von TBBT wie eine Familie: Sie verbringen ihre Zeit zusammen, essen zusammen, können sich auch gegenseitig unglücklich machen und unterstützen einander. Die Leute möchten unterbewusst ein Teil davon sein. Obwohl sie nicht verwandt sind, sind sie immer zumindest in Grüppchen zusammen – das ist für die Zuschauer sehr attraktiv."
Steigt diese Attraktivität in Zeiten von Terrorismus und schlechten Nachrichten jeden Tag? Sind Themen wie Familie und Comedy das, wonach sich Zuschauer heutzutage sehnen? Woher nehmen Sie denn Ihre lustigen Ideen, nachdem Sie morgens die Zeitung lesen?
Lorre: "Wenn schlimme Dinge passieren, wird es in der Tat manchmal schwierig. Aber wenn du die Gelegenheit bekommst, den Zuschauern ein paar Minuten des Lachens zu schenken, ist das sehr wertvoll. Zumindest hoffe ich das und ich glaube es wirklich. Jeder braucht ein wenig Erleichterung, um weiterzumachen. Und über diese Charaktere zu lachen, ist hoffentlich therapeutisch."
Derzeit arbeiten Sie am Prequel "Young Sheldon". Warum haben Sie Sheldon als zentralen Charakter für die neue Serie gewählt?
Lorre: "Seit zehn Jahren und mehreren hundert Episoden sprechen wir bei TBBT über seine Kindheit. Wir haben seine Mutter sogar mehrmals getroffen. Sie ist sehr religiös. Und er hat einen älteren Bruder, der ziemlich harsch mit ihm umgeht, einen Vater, der ihn nicht versteht, und eine Zwillingsschwester, mit der er nichts gemeinsam hat. Er ist ziemlich allein in dieser Familie. Nachdem wir diese Dinge eine Dekade lang thematisiert haben, war Jim Parsons derjenige, der zu mir sagte: 'Warum machen wir keine Serie darüber?' Ich fand die Idee großartig: Ein 9-jähriger Junge, der versucht, durch die Welt zu navigieren, und seine Familie, die versucht, mit ihm klarzukommen. Seine Familienmitglieder, Lehrer, Großeltern und Nachbarn haben es sehr schwer: Wie geht man mit einem kleinen Jungen um, der so intelligent und seinem Alter geistig so weit voraus ist? In der Pilotfolge hat er seinen ersten Tag an der High-School – mit neun Jahren! Gleichzeitig geht sein fünf Jahre älterer Bruder zum ersten Mal zur High-School und hat ziemlich zu kämpfen: Es ist ihm peinlich in die gleiche Klasse zu gehen wie sein 9-jähriger Bruder. Viele Themen, die wir behandeln, haben nicht direkt mit Sheldon zu tun, sondern mit den Leuten in seinem Umfeld."
Wie stellen Sie sicher, dass der junge Sheldon, gespielt von Iain Armitage, dem Jim-Parsons-Charakter gleicht?
Lorre: "Wir wollen gar nicht, dass sie gleich sind, denn Iains Version ist jünger, weniger erfahren und in vieler Hinsicht naiv. Der erwachsene Sheldon kann sehr schwierig und harsch sein, aber man verzeiht ihm das. Wenn ein kleiner Junge so wäre, wäre das schwieriger zu akzeptieren. Es wäre sehr anstrengend, in seiner Nähe zu sein. Also haben wir ihn verletzlicher und weniger arrogant angelegt. Er ist so etwas wie die 'pränatale' Version von Sheldon, denn er wird erst noch zu diesem Charakter heranwachsen. Außerdem wirkt Jim Parsons als Executive Producer an der Serie mit. Er hilft Iain mit seiner Performance und das ist ein echtes Geschenk. Der weltbeste Schauspieltrainer für diese Figur ist direkt vor Ort. Jim coacht Iain in einer wunderbaren und würdevollen Weise."
Abgesehen von Sheldons Familie: Werden wir weitere Figuren aus TBBT in "Young Sheldon" sehen?
Lorre: "Nein, denn Sheldon traf Leonard und Howard an der Caltech Universität in Los Angeles viele, viele Jahre später."
Könnten Sie sich ein weiteres TBBT Spin-Off vorstellen? Wenn ja, worum ginge es darin?
Lorre: "Bis jetzt habe ich noch nicht darüber nachgedacht, die Geschichte der anderen Charaktere zu erzählen. Momentan konzentriere ich mich darauf, das Projekt Young Sheldon gut zu machen."
Kunal Nayyar hat mir erzählt, er könnte sich ein Sequel über den alten Raj vorstellen. Vielleicht wäre das eine Idee für Sie …
Lorre: "Absolut. Alle diese Figuren haben ein Leben nach der Serie, das steht außer Frage."
Was können Sie uns über die elfte Staffel von TBBT erzählen?
Lorre: "Wir werden direkt an das Ende der zehnten Staffel anknüpfen. Wir werden die Geschichte von Sheldon und Amy weiterführen."
Da bin ich schon sehr gespannt. Ich frage mich, ob die beiden wirklich heiraten und wie die Hochzeit aussehen wird. Werden sie in "Star Trek"-Uniformen "Ja" sagen – oder etwas in der Art?
Lorre: "Ich garantiere, dass Amy das nicht mitmachen würde." (lacht)
TBBT ist nicht Ihre einzige erfolgreiche Comedy. Warum sind Sie in diesem Genre so erfolgreich?
Lorre: "Es hilft, mit großartigen Schauspielern zu arbeiten – und ich hatte immer großes Glück dabei: TBBT, 'Mom' mit Anna Faris, Allison Janney, Mimi Kennedy, Jaime Pressly, 'Mike & Molly' mit Melissa McCarthy und Billy Gardell, 'Dharma & Greg' mit Jenna Elfman und Thomas Gibson. 'Disjointed' hat Kathy Bates als Hauptdarstellerin. Es ist wirklich ein Segen für mich, mit solch herausragenden Darstellern arbeiten zu dürfen. Das hat den Erfolg erst möglich gemacht."
Haben Sie bestimmte Schauspieler im Kopf, wenn Sie eine Idee entwickeln?
Lorre: "Manchmal. Mal denk man an einen bestimmten Schauspieler, mal an eine bestimmte Figur. Und hin und wieder verändert sich die Figur, wenn man einen Schauspieler engagiert, weil man denkt: 'Oh, dieser Darsteller ist besonders gut darin, dies oder jenes zu tun.' Also ändert man den Charakter so, dass der Schauspieler seine Fähigkeiten auch einbringen kann. Wenn du dagegen von Anfang an einen Schauspieler im Kopf hast, schreibst du nur für ihn, weil du seine Arbeit so gut kennst. So war es bei 'Two And A Half Men' – ich habe die Serie für Charlie Sheen geschrieben."
Wie kamen Sie darauf, am Ende der meisten Episoden Ihrer Serien individuelle Vanity Cards zu schreiben und was wollen Sie damit erreichen?
Lorre: "Sie haben keinen Zweck. Ernsthaft. Eine der Kuriositäten des US-Fernsehens sind die zwei Sekunden, die jeder Serienmacher am Ende einer Episode für so eine Vanity Card zur Verfügung hat. Das gibt es schon viel länger, als ich für das TV schreibe. Bevor 'Dharma & Greg' 1996/1997 erstmals bei ABC lief, wurde ich gefragt, wie meine Vanity Card aussehen sollte. Da kam mir die Idee, immer etwas Anderes zu schreiben: Witze, Geschichten, was auch immer. Damals konnte man sie noch nicht lesen, weil niemand einen digitalen Videorecorder hatte. Analoge Videorecorder hatten keine Pause für das TV-Programm. Man musste die Folge aufnehmen und im richtigen Moment auf Pause drücken, was echt schwierig war, da der Bildschirm flackerte und man so kaum etwas lesen konnte. Man musste das schon wirklich lesen wollen, um es zu versuchen. Als die digitalen Geräte populär wurden, konnte man die Cards ganz einfach lesen und der Ärger hat angefangen …"
Müssen Sie also heutzutage genauer aufpassen, was Sie da schreiben, wenn jeder es lesen kann? Sie stellen die Vanity Cards ja ohnehin auf Ihre Website.
Lorre: "Und Anwälte müssen sie vor Veröffentlichung lesen. Es ist schon komisch, denn ich mache überhaupt keine Werbung für die Website. Manche Leute kennen sie gar nicht und pausieren immer noch das Programm, um die Vanity Cards am Ende der Folge zu lesen."
Und obwohl nicht viele Leute die Cards lesen, geben Sie dort auch politische Statements, z.B. haben Sie sich mal zu Trump geäußert. Haben Sie auch darüber mit Ihren Anwälten gesprochen?
Lorre: "Nun, ich habe meine Meinung. Ich spreche nicht mit ihnen, sie geben mir einfach Anmerkungen. Manchen Leuten gefällt nicht, was ich schreibe. Das ist die Gefahr daran, eine Meinung zu haben: Manchen Leuten gefällt es und manche Leute werden sauer."
Noch eine Frage zu Sheldon: Als Sie mit TBBT angefangen haben, hätten Sie geglaubt, dass Sheldon für viele Fans der Star und das bekannteste Gesicht der Serie werden würde?
Lorre: "Ich sehe das gar nicht so. Für mich ist das ganze Ensemble das Gesicht von TBBT, da kann man keinen Charakter herausnehmen. Und dennoch: Wir haben zehn Jahre lang über Sheldon gesprochen und wie er aufgewachsen ist. Ich hätte mir nie träumen lassen, ein Prequel über ihn als kleinen Jungen zu machen. Aber ich bin dankbar dafür, dass wir es jetzt tun. Wir haben einen fantastischen Cast: Iain Armitage ist ein toller Schauspieler und ein bemerkenswerter Junge. Und Zoe Perry, die seine Mutter spielt, ist die Tochter von Laurie Metcalfe (Metcalfe spielt Sheldons Mutter in TBBT). Sie ist eine sehr talentierte Schauspielerin und ähnelt ihrer Mutter in gewisser Weise. Das versucht sie gar nicht absichtlich, es liegt wohl an den Genen. Ist es nicht wundervoll, dass die tatsächliche Tochter ihre Mutter in jungen Jahren spielt? Ein tolles Geschenk für unsere Serie, die eine ganz andere Art von Comedy ist als TBBT."
ProSieben zeigt die 11. Staffel "The Big Bang Theory" immer montags um 20:15 Uhr.