Xeno-Transplantation: So retten Organspenden von Tieren Menschenleben
- Veröffentlicht: 14.01.2022
- 15:45 Uhr
- Nicole Lemberg
Mediziner:innen haben es erstmals geschafft, einem Menschen ein Schweineherz einzusetzen. Ein bahnbrechender Erfolg in der Xeno-Transplantation. Ist das die Zukunft der Organspende? Wir klären auf. Im Clip: das maßgeschneiderte Herz.
Das Wichtigste zum Thema Xeno-Transplantationen
Organe, die von Tieren in Menschen verpflanzt werden. In der Medizin spricht man von einer Xeno-Transplantation. In Baltimore hat ein Ärzte-Team erstmals erfolgreich ein Schweine-Herz in einen Menschen transplantiert.
Die Wissenschaft sieht das als bahnbrechenden Erfolg. Denn es ist ein möglicher erster Schritt, um der Organ-Knappheit entgegenzutreten.
Noch sind aber viele medizinische Fragen offen. Dazu kommen ethische Bedenken.
Sind Xeno-Transplantationen die Organ-Spenden der Zukunft? Wir klären den aktuellen Forschungsstand.
Die Geschichte der Xeno-Transplantation
🩸 Bereits im 17. und 18. Jahrhundert wurden Blut-Transfusionen vom Tier auf den Menschen durchgeführt.
🧫 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fanden erste Versuche statt, menschliche Organe durch tierische zu ersetzen.
🐒 1963 wurde die 1. erfolgreiche Xeno-Transplantation durchgeführt. Der Chirurg Keith Reemtsma verpflanzte 6 Patient:innen eine Schimpansen-Niere, von denen jedoch keine länger als 9 Monate funktionstüchtig war.
👶 Ein herber Rückschlag war der Fall von "Baby Fae". Der Säugling wurde 1984 mit einem Herzfehler geboren und bekam ein Pavian-Herz eingesetzt. Leider starb das Baby nach 3 Wochen.
🐷 Seit den 90er-Jahren werden vermehrt tierische Zellen und Gewebe von Schweinen transplantiert.
🧬 Abstoßungs-Reaktionen treten bei Xeno-Transplantationen häufiger und schneller auf als beim Austausch menschlicher Organe. Der Einsatz von Immun-Suppressiva unterstützt zwar den Prozess, für eine erfolgreiche Transplantation tierischer Organe müssen diese aber genetisch verändert werden.
Erstes Schweineherz schlägt im menschlichen Körper
Für David Bennett war es die letzte Chance. Der 57-Jährige litt an einer Herzkrankheit im Endstadium. Für eine herkömmliche Organ-Transplantation war er nicht zugelassen. Anfang 2022 wagten Mediziner:innen aus Baltimore im US-Bundesstaat Maryland deshalb erstmals eine Transplantation mit einem genetisch modifizierten Schweine-Herz - und waren erfolgreich.
Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hatte für den Eingriff eine Notfall-Zulassung stattgegeben. Das Schwein, von dem das Herz stammt, wurde genetisch verändert, um eine Abstoßung des Organs zu verhindern. 4 Gene des Spender-Schweins wurden "ausgeschaltet" und 6 weitere menschliche Gene in das Erbgut eingefügt.
Wissenschaftler:innen versuchen bereits seit Jahren, Organe in Schweinen zu züchten, die für eine Transplantation geeignet sind. Im Oktober 2021 gelang es einem Ärzt:innen-Team aus New York erstmals, eine Schweine-Niere mehr als zwei Tage an einen hirntoten Menschen anzuschließen.
Wenige Tage nach der OP geht es dem Patienten David Bennett gut. "Das war eine bahnbrechende Operation, die uns einen Schritt näher bringt, die Krise des Organ-Mangels zu lösen", erklärte der leitende Chirurg Bartley Griffth.
Schweine als Organ-Spender
🐷 Schweine sind als Spender-Tiere besonders gut geeignet. Zum einen sind sie dem Menschen physiologisch sehr ähnlich, zum anderen sind die Organe etwa gleich groß.
🐖 Die Transplantation von chemisch veränderten Schweine-Herzklappen ist bereits Routine in Krankenhäusern. Auch die Haut der Säugetiere kommt bei schweren Brand-Opfern zum Einsatz.
🧠 Hirnzellen von Schweinen werden zur Behandlung von Parkinson-Patient:innen verwendet. Inselzellen helfen hingegen Diabetes-Erkrankten.
🦍 Primaten sind uns genetisch zwar näher als Schweine, aber Gorillas, Schimpansen oder Orang-Utans kommen als Spender nicht infrage, weil sie unter Artenschutz stehen. Gleichzeitig sind die Krankheitserreger der Primaten sehr ähnlich und könnten leichter auf den Menschen übertragen werden.
⏱ Ein weiterer Vorteil von Schweinen ist die Geschwindigkeit, mit der sie sich fortpflanzen. Das vereinfacht die Züchtung von Schweinen, die genetisch für eine Organ-Spende verändert werden.
Ein Ausweg aus dem Organ-Mangel? Das sind die Hoffnungen der Wissenschaft
✅ Auch wenn die Mehrheit der Deutschen positiv gegenüber Organspenden eingestellt ist, ist es nach wie vor schwierig, ein passendes Spender-Organ zu finden. In Deutschland warten nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mehr als 9.200 auf ein Spender-Organ. 2020 gab es bundesweit aber nur 913 Organspenden.
✅ Xeno-Transplantationen könnten diese Lücke schließen, so die Hoffnungen der Mediziner:innen.
✅ Die Verwendung tierischer Zellen hat eine lange und erfolgreiche Geschichte, wie die Verwendung von Schweine-Insulin zur Behandlung von Diabetes oder der Einsatz von Herzklappen zeigt.
✅ Potenzielle Krankheitserreger können genetisch angepasst werden. Das Risiko einer Keim-Übertragung ist bei einer Transplantations-OP menschlicher Organe größer, weil diese oft unter Zeitdruck stattfindet.
Die Zukunft der Xeno-Transplantation
Die Verpflanzung von Herzklappen aus dem Gewebe von Schweinen und Rindern ist mittlerweile Alltag - auch in Deutschland. Noch immer ist unklar, ob Schweine-Herzen oder andere komplexe tierische Transplantate die Funktion menschlicher Organe längerfristig ersetzen können. Unter anderem die aufrechte Haltung der Menschen könnte einen unvorhersehbaren Einfluss auf transplantierte Schweine-Organe haben.
Für den nächsten Schritt sind Xeno-Transplantationen vor allem als Übergangs-Lösung geplant. Beispielsweise um eine lebensbedrohliche Situation mit einem Schweine-Herz zu überbrücken, bis ein passendes menschliches Spender-Herz zur Verfügung steht.
Hinzu kommen ethische Bedenken. Sollten Tiere für den Zweck der Organ-Transplantation gezüchtet werden? Expert:innen fordern deshalb einen konstruktiven und gesellschaftlichen Diskurs über dieses Thema. Der erfahrene Transplantations-Chirurg Bruno Reichart, der 1981 die erste Herztransplantation in Deutschland durchführte, sagte in einem Interview: "Xeno-Transplantation kann nur funktionieren, wenn die Gesellschaft dahintersteht".