Welthandelsorganisation: Wie mächtig ist die neue Frau an der Spitze?
- Veröffentlicht: 21.02.2021
- 12:00 Uhr
- Sven Hasselberg
Die neue Generaldirektorin der Welthandelsorganisation heißt Ngozi Okonjo-Iweala. Wir stellen dir die Ökonomin vor und erklären, wofür die WTO zuständig ist.
Das Wichtigste zum Thema Welthandelsorganisation
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Ngozi Okonjo-Iweala stammt aus Nigeria. Sie ist nicht nur die erste Frau an der Spitze der Welthandelsorganisation (WTO), sondern auch die erste afrikanische Persönlichkeit in dieser Leitungsfunktion.
Die WTO kümmert sich als internationale Organisation mit 164 Mitgliedsstaaten um globale Wirtschafts- und Handelspolitik. Dazu zählen die Schlichtung von Handelsstreitigkeiten zwischen Nationen oder die internationale Handelsgesetzgebung.
Die WTO gerät immer wieder in Kritik, sie bevorzuge reiche Industriestaaten und westliche Großkonzerne. Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty mahnen an, Umwelt- oder Sozial-Aspekte nicht dem Handel unterzuordnen.
Ngozi Okonjo-Iweala soll die Organisation nun reformieren, besser und agiler gestalten. Außerdem will sie sich gegen den "Impfstoff-Nationalismus" bei der Bekämpfung von Corona einsetzen. Willst du mehr über die neue Generaldirektorin wissen und welche Macht die WTO wirklich hat? Lies weiter.
Ngozi Okonjo-Iweala: Das ist die neue Chefin
Die Ökonomin Ngozi Okonjo-Iweala tritt am 1. März ihr neues Amt als Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO) an. Vorerst haben die Mitgliedsstaaten sie für 4 Jahre gewählt. Sollte die 66-Jährige ihren Job gut machen, kann sie 2025 für eine zweite Amtszeit wieder gewählt werden.
Unter Ex-Präsident Trump hatten die USA ihre Wahl noch blockiert. Sie favorisierten eine Kandidatin aus Südkorea. Und das, obwohl Ngozi Okonjo-Iweala dank einer doppelten Staatsbürgerschaft auch Amerikanerin ist. Erst mit dem Machtwechsel in Washington war der Weg für sie frei.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin hat in Harvard studiert und bringt viel internationale Erfahrung mit. Neben zwei Amtszeiten als Finanz-, Wirtschafts- und kurzzeitige Außenministerin in ihrer Heimat Nigeria war sie gut 25 Jahre für die Weltbank tätig.
Seit 2015 ist sie Vorsitzende der Impf-Allianz Gavi. Die Schweizer Stiftung mit Sitz in Genf kümmert sich besonders um die Impfung von Kindern in Entwicklungsländern, damit sie nicht an vermeidbaren Krankheiten sterben. Ngozi Okonjo-Iweala ist selbst Mutter von 4 Kindern.
Die neue WTO-Chefin kritisierte bereits den "Impf-Nationalismus" einzelner Länder im Kampf gegen Corona. Sie will sich für eine gleichmäßige und gerechte Verteilung der Impfstoffe stark machen.
Die wichtigsten Aufgaben der WTO
🤝 Vereinbarung von Handelsabkommen: Die WTO hat Abkommen zum internationalen Handel mit Waren und Dienstleistungen ausgehandelt. Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, diese Regeln einzuhalten. So darf grundsätzlich kein Mitgliedsstaat ein Land bevorteilen, sondern muss diese Handelsregeln für alle Mitgliedsstaaten anwenden.
👀 Überwachung von Handelsrecht: Beschränkt ein Mitgliedsstaat seinen Außenhandel oder gibt es neue Gesetze, muss die WTO davon in Kenntnis gesetzt werden. Auch wenn bilaterale Abkommen ausgehandelt oder internationale handelspolitische Maßnahmen ergriffen werden, um Krisen zu bewältigen, beobachtet die WTO dieses Geschehen.
👩⚖️ Streitschlichtung: Kommt es zum Konflikt zwischen zwei oder mehreren Mitgliedsstaaten, dient die WTO als Art "oberstes internationales Handelsgericht" - ihre mächtigste Funktion. Fälle können ungerechte Einfuhrbestimmungen oder Zölle sein, die Bevorzugung von Inländern oder dass das Prinzip der Gegenseitigkeit nicht eingehalten wurde, also ein Industriestaat den anderen übervorteilt.
🧠 Schutz von geistigem Eigentum: Wie bei Waren und Dienstleistungen hat sich die WTO dem geregelten Transfer von geistigem Eigentum zwischen den Ländern verschrieben. Im TRIPS-Abkommen wurden hierzu Rahmenbedingungen zum grenzüberschreitenden Urheberrecht festgelegt.
🗺 Liberalisierung des Welthandels: Großes Ziel der WTO ist es, den Welthandel freier zu gestalten. Dazu zählen die Senkung und Abschaffung von Zöllen, aber auch der Abbau anderer Handelshemmnisse wie ungerechte Subventionen, Lizenzen, ein großer Verwaltungsaufwand oder diskriminierende technische Normen, Sicherheits- oder Umweltvorschriften.
🌱 Integration von Entwicklungsländern: Eigentlich sollten bei der Öffnung des Welthandels die besonderen Bedürfnisse der ärmeren Länder beachtet werden. Für Entwicklungsländer gibt es Sonderrechte. Kritiker bemängeln aber, dass die Integration nur schleppend vorankommt.
So funktioniert die WTO
In ihrer heutigen Form besteht die WTO seit 1995. Sitz ist Genf in der Schweiz. Zuletzt traten 2017 Liberia und Afghanistan der WTO bei. Damit sind es 164 Staaten. Viele weitere Länder, besonders afrikanische, haben einen Beobachterstatus. Dies bedeutet, dass sie bald mit Beitrittsverhandlungen beginnen können.
Als Säulen der WTO werden oft die drei Handelsabkommen GATT (Waren). GATS (Dienstleistungen) und TRIPS (Geistiges Eigentum) und die Streitschlichtung genannt.
Chefin der WTO ist Ngozi Okonjo-Iweala, weil sie das Sekretariat leitet. Das kann den Mitgliedsstaaten aber keine Befehle oder Verordnungen erteilen. Es organisiert eher die Verhandlungen, berät und analysiert.
Die Ministerkonferenz gilt als "oberstes Beschluss-Organ" und wird von der Generaldirektorin geleitet. Alle 2 Jahre tagen die Handels- und Wirtschaftsminister der Mitgliedsstaaten. Sie erarbeiten Änderungen der Abkommen oder definieren die künftigen Ziele. Beschlüsse fällen sie einstimmig und haben auch die neue Generaldirektorin gewählt.
Der sogenannte Allgemeine Rat kümmert sich um das Tagesgeschäft, überprüft die Handelspraktiken und schlichtet Streit. Über 500 Verfahren wurden hier schon entschieden. Diese Aufgabe nehmen 7 Schiedsrichter wahr.
Im Rat haben internationale Organisationen und Organe wie der Währungsfonds oder die Vereinten Nationen einen Beobachterstatus. Für die einzelnen "Themen" gibt es wiederum spezielle Ausschüsse, Gremien und Arbeitsgruppen. Die folgende Grafik verdeutlicht dir die Struktur der WTO. Die wahre Macht liegt also in den grauen Balken.
So ist die Organisation strukturiert
Willst Du noch mehr über die WTO erfahren?
Das ist die offizielle Homepage
Wie viel Macht besitzt die WTO wirklich?
Wie sehr die WTO von ihren Mitgliedsstaaten abhängt, zeigt die jahrelange Weigerung der USA, neue Richter für das Berufungsgericht anzuerkennen.
3 der 7 Stellen müssen mindestens besetzt sein. Im Dezember 2019 endeten die Mandate von 2 weiteren Richtern. Aktuell ist nur noch einer übrig und das Gericht daher nicht funktionstüchtig. Also hat hat ein Mitgliedsstaat die WTO gelähmt. Ein intaktes Berufungsgericht kann große Macht ausüben und zum Beispiel Strafzölle erlauben.
Viele Ökonomen kritisieren aber, dass das Gericht eher nach juristischem Regelwerk und nicht nach lebensnahen ökonomischen Argumenten entscheidet. Zudem seien Teile der Abkommen veraltet und der modernen digitalen Handelswelt nicht angepasst.
Auch Kompetenzüberschreitung wird der WTO vorgeworfen, da manche Schiedssprüche auch in andere Lebensbereiche als den Handel hineinwirken.
NGOs, also Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder Humanrights, kritisieren zudem, dass Umwelt- oder Sozialgesetze und sogar Menschenrechte bei den Entscheidungen des WTO-Gerichts keine Rolle spielen. Auch ginge es ihm nicht um fairen, sondern hauptsächlich um freien Handel.
Da der juristische Beistand in solchen Fragen auch teuer ist, rufen meist reiche Länder das Gericht an. Greenpeace bezeichnet daher die versprochene Unterstützung der WTO für Entwicklungsländer als "Mogelpackung".
Ngozi Okonjo-Iweala soll nun als Hoffnungsträgerin die WTO reformieren. Problem: Als Generaldirektorin kann sie organisatorische Veränderungen vornehmen, strukturelle Reformen anstoßen, Analysen vorlegen oder Themen auf die Tagesordnung setzen.
Aber die "Chefin" kann den Mitgliedsstaaten die Entscheidungen nicht diktieren. Änderungen der Statuten oder Vorlagen von Entwicklungsländern müssen von allen Ländern abgesegnet werden. So ein Reformprozess dürfte lange dauern.
Die Hauptkritikpunkte an der WTO
🔍 Mangelnde Transparenz: Die Entscheidungsprozesse in der Ministerkonferenz werden oft als undurchsichtig kritisiert. Einige Kritiker mahnen einen besseren Zugang für die Medien und somit eine transparentere Berichterstattung an. Da die Verhandlungen zu unterschiedlichen Themen alle zu einem Stichtag abgeschlossen sein müssen, befürchten Kritiker hier oft einen Kuhhandel: Du gibst mir – ich gebe dir.
🏭 Industrienationen werden bevorzugt: Organisationen wie Greenpeace mahnen, dass reiche Nationen wie die USA, Japan oder die EU als wirtschaftlich starke Union vieles unter sich ausmachen und andere Länder unter Druck setzen. Außerdem wird beanstandet, dass die Schlichtungsverfahren Industrienationen bevorzugen - und Entwicklungsländer ihr Recht selbst dann nicht durchsetzen können, wenn sie gewinnen. Die häufigsten Kläger sind die USA und die EU, gefolgt von China und Kanada.
💪 Großkonzerne sind im Vorteil: Hier lautet die Kritik: Mächtige Firmen können durch den liberalisierten Handel ihre Produkte weltweit auf den Markt bringen und verdrängen damit kleinere regionale oder lokale Betriebe. Die Sorge: Big Player könnten über Lobbyisten das WTO-Schiedsgericht für ihre Interessen gegen Konkurrenten nutzen.
🤐 Konflikt mit den Menschenrechten: Da nachhaltige Produkte im Freihandel nicht bessergestellt werden dürfen, fördert das die Billig-Herstellung. Die Gefahr: Arbeiter- oder Sozialrechte, ja sogar Menschenrechte könnten außen vor bleiben. Humanrights fordert von der WTO, beim Handelsrecht auch auf die Menschenrechte zu achten.
📄 Öffentlichkeit kann keine Anträge einbringen: Nur Mitgliedsstaaten dürfen vors Schiedsgericht ziehen. Die Öffentlichkeit, zum Beispiel Interessensvertretungen oder NGOs, wird nicht angehört und hat auch bei der Änderung der Abkommen keine Stimme. Die Organisation Humanrights fordert, dass die Interessen der Zivilbevölkerung und nicht nur die der Wirtschaft berücksichtigt werden.
🌊 Umweltzerstörung wird toleriert: Weil zum Beispiel Regelungen für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln den freien Handel nicht behindern dürfen, werden fortschrittlichere Gesetze schon mal als Wettbewerbsverzerrung und Umweltsiegel als Handelshemmnis eingestuft. Auch gibt es keine Umweltverträglichkeits-Prüfungen. Greenpeace nennt dies den "blinden Fleck".
Nötige Reformen in der WTO
Dieses Video des Ifo-Instituts fasst einige Kritikpunkte an der WTO zusammen und zeigt die Reformen auf, die Ngozi Okonjo-Iweala einleiten sollte.