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Identität

Warum es mehr als nur zwei Geschlechter gibt

  • Aktualisiert: 20.06.2024
  • 05:07 Uhr
  • Julia Wolfer
Die Regenbogenflagge gilt als Zeichen für Toleranz und Akzeptanz der Vielfalt von Lebensformen.
Die Regenbogenflagge gilt als Zeichen für Toleranz und Akzeptanz der Vielfalt von Lebensformen.© Imago Images /JOKER

Männlich, weiblich, non-binär, trans oder cis: Über Geschlechts-Identitäten wird viel diskutiert. In der Debatte wird oft aber ein Fakt vergessen: Schon auf biologischer Ebene lässt sich das Geschlecht nicht immer eindeutig in männlich und weiblich unterscheiden.

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Wie viele Geschlechter gibt es? Das Wichtigste zum Thema

  • In der Biologie unterscheidet man beim Menschen meist zwei Geschlechter: weiblich und männlich - doch das entspricht nicht immer der Realität.

  • Bei intergeschlechtlichen Personen kann das biologische Geschlecht nicht als eindeutig männlich oder weiblich zugeordnet werden.

  • Das biologische Geschlecht sagt auch nichts über die Geschlechts-Identität einer Person aus, also darüber, wie sie sich selbst wahrnimmt.

  • Im Spektrum zwischen Mann und Frau können sich Menschen als weiblich, männlich, dazwischen oder als zweigeschlechtlich empfinden - oder sich gar keinem Geschlecht zugehörig fühlen.

  • Die Entwicklung der Geschlechts-Identität hängt von verschiedenen Dingen ab: Von körperlich-biologischen Faktoren ebenso wie von der Psyche und gesellschaftlichen Rollen-Mustern.

Inhalt

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Wie entsteht das biologische Geschlecht?

Die meisten Menschen besitzen 44 Körper-Chromosomen (Autosomen) und zwei Geschlechts-Chromosomen (Gonosomen). Diese Geschlechts-Chromosomen bestimmen maßgeblich das biologische Geschlecht eines Menschen.

  • Frauen haben in der Regel zwei X-Chromosomen (XX)
  • Männer haben in der Regel je ein X- und ein Y-Chromosom (XY)

Welches biologische Geschlecht ein Mensch hat, wird in dem Moment festgelegt, wenn die Eizelle von einem Spermium befruchtet wird. Eizellen und Spermien enthalten jeweils nur die Hälfte des Chromosomen-Satzes und nur ein Geschlechts-Chromosom.

  • Die Eizellen der Frau enthält in der Regel ein X-Chromosom.
  • Männer produzieren zwei Arten von Spermien: Die eine Hälfte enthält ein X-Chromosom, die andere Hälfte ein Y-Chromosom.
Bei der Befruchtung der Eizelle entscheidet sich, welches biologische Geschlecht das Kind hat.
Bei der Befruchtung der Eizelle entscheidet sich, welches biologische Geschlecht das Kind hat.© Christin Klose/dpa-tmn

Intersexualität und Geschlechts-Chromosome

➡️ Verschmilzt ein X-Spermium mit der Eizelle, wird es ein Mädchen (X + X). Trägt das Spermium ein Y-Chromosom, wird es ein Junge (X + Y). Die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Junge oder ein Mädchen wird, beträgt also jeweils 50 Prozent.

Nach dieser Definition gibt es beim Menschen zwei Geschlechter: Männer und Frauen - doch so schwarz-weiß ist die Geschlechterfrage auch in der Biologie nicht. Manchmal kann das Geschlecht nicht als eindeutig männlich oder weiblich zugeordnet werden. Dann spricht man auch von Intergeschlechtlichkeit oder Intersexualität.

Bei rund 0,3 Prozent aller Neugeborenen weicht die Verteilung der Geschlechts-Chromosomen vom klassischen Muster XX und XY ab:

  • Ein X-Chromosom fehlt (X0): Beim Turner-Syndrom haben die Betroffenen ein weibliches Erscheinungsbild. Die Eierstöcke sind allerdings nicht funktionstüchtig.
  • Das X-Chromosom kommt dreimal vor (XXX): Beim Triple-X-Syndrom ist das Erscheinungsbild weiblich. Die Betroffenen sind in der Regel körperlich unauffällig und fruchtbar.
  • Ein Y-Chromosom und zwei X-Chromosomen (XXY): Beim Klinefelter-Syndrom entwickeln sich die Kinder biologisch zu Männern, sind jedoch zeugungsunfähig. Die Symptome können so unauffällig sein, dass viele XXY-Männer nichts von ihrem doppelten X-Chromosom wissen.
  • Zwei Y-Chromosomen (YY): Personen, bei denen das Y-Chromosom zweifach vorliegt, sind biologisch Männer und häufig überdurchschnittlich groß. Ansonsten sind sie körperlich unauffällig und fruchtbar.
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Intersexualität und Geschlechts-Hormone

Neben den Genen haben auch die Geschlechts-Hormone Einfluss auf die Ausbildung des biologischen Geschlechts. So kann es auch bei einem XY-Chromosomen-Satz zu Intergeschlechtlichkeit kommen, bei der das äußerlich zugeschriebene Geschlecht nicht eindeutig ist.

Manche XY-Männer produzieren zwar männliche Geschlechtshormone, doch ihre Androgen-Rezeptoren funktionieren nur unzureichend. Die Rezeptoren werden zum Beispiel durch Testosteron aktiviert - funktionieren sie nicht richtig, können die Geschlechtshormone ihre Wirkung nicht voll entfalten.

Eine solche Androgen-Resistenz kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und von einem männlichen Erscheinungsbild mit vermindertem Bart- und Körperhaarwuchs bis hin zu einem weiblichen Erscheinungsbild mit weiblichen äußeren Genitalien und innenliegenden Hoden reichen. 

➡️ Bis heute werden intergeschlechtliche Kinder noch manchmal genitalverändernden Operationen unterzogen, um sie an die binäre Geschlechtervorstellung anzupassen. Medizinisch sind die Operationen in der Regel nicht notwendig. Die Eingriffe sind problematisch, weil dadurch die körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Selbstbestimmung verletzt werden. Die Operationen bergen auch medizinische Risiken und können psychische Belastungen verursachen. Doch langsam findet ein Umdenken statt.

➡️ Dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, hat inzwischen auch die Politik anerkannt: Seit 2018 können intergeschlechtliche Menschen im Personen-Standsregister die dritte Option "divers" wählen. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nur drei Geschlechter gibt - denn es gibt eine Vielzahl von Geschlechts-Identitäten.

Im Video: Was bedeutet das dritte Geschlecht?

Was ist die Geschlechts-Identität?

Gene und Hormone bestimmen in der Regel zwar das biologische Geschlecht - sie sagen aber nichts darüber aus, ob sich eine Person auch damit identifiziert.

Unter Geschlechts-Identität versteht man die subjektive Wahrnehmung des eigenen Geschlechts. Unabhängig vom biologischen Geschlecht können sich Menschen als weiblich, männlich, dazwischen oder als zweigeschlechtlich empfinden – oder sich gar keinem Geschlecht zugehörig fühlen.

Wahrscheinlich hängt die Entwicklung der Geschlechts-Identität von verschiedenen Faktoren ab: Körperlich-biologische Faktoren dürften dabei ebenso eine Rolle spielen wie Psyche und soziale Bedingungen, zum Beispiel gesellschaftliche Geschlechter-Rollen und Erziehung.

Im Gegensatz zum biologischen Geschlecht wird das soziale Geschlecht oder Gender - also welche Rollen, Verhaltensweisen und Eigenschaften wir als "typisch" männlich oder weiblich einordnen - durch kulturelle, historische und soziale Einflüsse geformt. Diese Vorstellungen können sich im Laufe der Zeit verändern und zwischen verschiedenen Kulturen stark unterscheiden.

➡️ Bei vielen indigenen Völkern weltweit gibt es traditionell mehr als zwei Geschlechter. Zum Beispiel gibt es in einigen nordamerikanischen indigenen Kulturen schon lange das Konzept der "Two-Spirit"-Personen, die eine Mischung aus männlichen und weiblichen Eigenschaften besitzen. Das zeigt, dass Geschlechter-Konstruktionen durchaus flexibel sein können und von kulturellen Einflüssen abhängen.

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Welche Geschlechter gibt es?

Es gibt verschiedene Arten, Geschlecht zu definieren, zum Beispiel auf genetischer, anatomischersoziologischer oder persönlicher Ebene - und diese Ebenen müssen bei einer Person nicht zwingend miteinander übereinstimmen.

Wie viele Geschlechter es insgesamt gibt, ist schwer zu beantworten, da es sich schwer an eindeutigen objektiven Merkmalen festmachen lässt. Und so vielfältig Geschlecht sein kann, so viele verschiedene Begriffe gibt es. Hier eine kleine Auswahl:

  • cis-ident: Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem biologisch zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.
  • transident: Menschen, die sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, als dem biologisch zugeteilten.
  • Intergeschlechtlich: Menschen, deren körperliche Merkmale weder ausschließlich weiblich noch ausschließlich männlich sind, sondern beides oder nichts von beidem.
  • non-binär: Menschen, die die Beschränkung des binären Geschlechtermodells Mann/Frau für sich ablehnen.
  • (gender)queer: Menschen, die die gesellschaftliche Beschränkung auf Mann oder Frau ablehnen. Auch in der sexuellen Orientierung steht dieser Begriff für ein Verständnis von Vielfalt.
  • genderfluid: Menschen, bei denen die Geschlechtsidentität zwischen verschiedenen Geschlechtern wechselt. Sie fühlen sich mal mehr dem einen, mal dem anderen Geschlecht zugehörig.
  • Neutrois oder Agender: Menschen, die sich in der Geschlechtsidentität als neutral empfinden und sich keinem Geschlecht zuordnen.

Geschlechts-Identität und Pronomen: Warum spielt das eine Rolle?

Pronomen sind in unserem Sprachsystem wichtig. Sie sind Teil unserer Identität.

Wenn eine cis-Frau, deren Geschlechts-Identität mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmt, ständig als "Herr" angesprochen und als "er" bezeichnet würde, wäre sie wahrscheinlich sehr irritiert, vielleicht sogar verletzt. Denn ein Teil ihrer Identität - ihre Geschlechts-Identität - wird ignoriert.

Das erleben vor allem Menschen, die sich nicht dem binären Geschlechter-System zuordnen. Deshalb geben viele Menschen auf ihren Social-Media-Profilen oder in ihrer E-Mail-Signatur inzwischen die Pronomen an, mit denen sie angesprochen werden möchten - und neben "er" und "sie" gibt es inzwischen viele weitere:

  • Fühlt sich eine Person eindeutig einem Geschlecht zugehörig, spricht nichts dagegen, sie als "sie/ihr" oder "er/ihm" zu bezeichnen oder mit "Sehr geehrte Frau" bzw. "Sehr geehrter Herr" anzusprechen. Das gilt zum Beispiel für viele Trans-Frauen und Trans-Männer. Auch manche non-binären Personen benutzen "sie" oder "er". Das Problem ist nur: An äußeren Merkmalen lässt sich das nicht immer erkennen.
  • Menschen, die sich von "sie/ihr" und "er/ihm" nicht angesprochen fühlen, verwenden häufig "they/them" oder Neo-Pronomen wie zum Beispiel "xier", "xie", "dey", "hen" oder "nin". Andere wollen gar nicht, dass Pronomen für sie verwendet werden - hier genügt einfach der Name. Diesen Weg kannst du im Zweifelsfall immer gehen.

Wenn du unsicher bist, wie die Person angesprochen werden möchte, frage einfach nach. Das ist nicht unhöflich, sondern zeigt, dass du für das Thema sensibel bist.

Auch wenn du über Gruppen sprichst, kannst du die Geschlechter-Vielfalt in deiner Sprache sichtbar machen:

  • In Texten wird häufig der Genderstern (Leser*innen), der Gendergap (Leser_innen) oder der Gender-Doppelpunkt (Leser:innen) verwendet. Durch diese Platzhalter werden auch non-binäre Personen angesprochen. In der mündlichen Kommunikation können Genderstern, -gap und -doppelpunkt durch eine kurze Pause ausgedrückt werden. Erfahre hier mehr zum Gendern
  • Eine andere Möglichkeit, non-binäre Personen in deiner Kommunikation zu berücksichtigen, sind geschlechtsneutrale Begriffe. Verwende zum Beispiel Kind statt Sohn/Tochter, Elternteil statt Vater/Mutter, Studierende statt Studentin/Student oder Publikum statt Zuhörerinnen/Zuhörer.

Im Video: Unterstützung für Trans* Personen

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Häufige Fragen zur Anzahl der Geschlechter

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