Countdown zum Super-GAU
Tschernobyl: So verlief die Nuklear-Katastrophe
- Aktualisiert: 05.11.2024
- 11:51 Uhr
- Alena Brandt
Am 26. April 1986 passierte im Atomkraftwerk Tschernobyl der Super-GAU: Eine radioaktive Wolke zog bis nach Deutschland. Die Menschen erfuhren erst Tage später von der Gefahr. Warum? Unser Zeitstrahl zeigt die Chronik der Katastrophe.
Tschernobyl-Überlebende berichten von ihren Schicksalsschlägen und den anhaltenden Folgen der Katastrophe
Das Wichtigste zum Thema Tschernobyl
Am 26. April 1986 um 01:23 Uhr explodiert im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl der Reaktor-Block 4.
Der größte anzunehmende Unfall (GAU) passiert: Radioaktives Material dringt in die Atmosphäre und verteilt sich mit Nuklearwolken über Europa.
Langes Schweigen nach dem Unfall! Die Verantwortlichen informieren und evakuieren die Menschen erst nach über 36 Stunden.
Offiziell gab es nur 37 Todesopfer. Ein Bericht der Altner-Combecher-Stiftung für Ökologie und Frieden geht von etwa 60.000 direkten und indirekten Opfern aus. Schätzungen aus Russland liegen sogar bei 1 Million.
35 Jahre nach dem Super-GAU sind die Folgen der radioaktiven Verseuchung noch messbar - auch in Deutschland. Gebietsweise findet sich radioaktives Cäsium in Pflanzen, Böden und Tieren.
Tschernobyl: So verlief die Nuklear-Katastrophe
Tschernobyl: Chronologie der größten Reaktor-Katastrophe aller Zeiten
Tschernobyl-Katastrophe: Was geschah damals?
💥 Tschernobyl: Die Explosion
Wann: 26. April 1986 um 01:23 Uhr
Was: Explosion im Reaktorblock 4 des ukrainischen Kernkraftwerks Tschernobyl
Wo: nahe der Stadt Prypjat
Die Explosion im Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks wurde auf der internationalen Bewertungsskala INES in Stufe 7, der höchsten Kategorie, als katastrophaler Unfall eingeordnet. INES steht für "International Nuclear and Radiological Event Scale" und ist eine Festlegung für sicherheitsrelevante Ereignisse. Der Unfall von Tschernobyl war auf der ganzen Welt das erste Ereignis dieser Stufe.
Im September 1982 kam es im Kernkraftwerk Tschernobyl im Block 1 bereits zu einem Unfall gleicher Ursache. Das Unglück wurde als ernster Unfall der Kategorie INES 5 eingeordnet.
Die Katastrophe an Block 4 ereignete sich in Folge eines außer Kontrolle geratenen Sicherheitstests, bei dem durch einen simulierten Stromausfall nachgewiesen werden sollte, dass das Kraftwerk auch ohne Strom von außen die Notkühlung des Reaktors sicherstellen kann.
Das Experiment lief von Beginn an nicht rund: Es musste zwischendurch unterbrochen werden, Systeme wurden fehlerhaft betrieben, Techniker handelten entgegen der Sicherheitsvorschriften. Eine schlagartige und unkontrollierte Steigerung der Reaktorleistung führte zur Explosion des Reaktors.
Erst zwei Tage nach dem Unfall melden Medien eine Havarie im Kernkraftwerk. Von Gefahren für die Gesundheit ist noch nicht die Rede. Die Ursachen und der Zeitpunkt der Kernkraft-Katastrophe sind noch unklar, berichtet die Tagesschau am 28. April 1986.
👨🚒 Tschernobyl: Liquidator
Nach der Katastrophe wurden zahlreiche Helfer:innen nach Tschernobyl geschickt, um die Folgen einzudämmen. Sie wurden als Liquidatoren bezeichnet, die die Radioaktivität liquidieren, also beseitigen sollten. Geschätzt waren 600.000 bis 800.000 Liquidatoren im Einsatz, die teilweise monatelang und ohne ausreichende Schutzkleidung in Tschernobyl ihren Dienst geleistet haben.
Die meisten Liquidatoren waren Wehrdienstleistende, aber auch Hubschrauberpilot:innen, Feuerwehr- und Bergleute, Polizeikräfte und Personen des ärztlichen Dienstes.
🏗 Tschernobyl: Sarkophag
Um die kontinuierliche Strahlung des Reaktors auf Dauer einzudämmen, wurde ein Betongehäuse um den Reaktorblock gebaut. Der Sarkophag konserviert die Situation nach der Explosion in heißer Form. Mehr als 100.000 Menschen haben im Sommer 1986 das Gehäuse aufgebaut, aufgrund der hohen Strahlenbelastung durften sie oft nur wenige Minuten arbeiten.
Der notdürftige Sarkophag wurde mittlerweile durch eine neue Schutzhülle ersetzt. Diese wurde zwischen 2010 und 2016 neben dem havarierten Reaktor aufgebaut und anschließend auf Schienen über den alten Sarkophag geschoben. Im Sommer 2019 wurde die neue Schutzhülle offiziell in Betrieb genommen, sie soll mindestens 100 Jahre halten.
✝ Tschernobyl: Die Opfer und Toten
41 Personen starben im unmittelbaren Zusammenhang mit der Katastrophe von Tschernobyl, an der Explosion, einem Hubschrauberabsturz, durch medizinische Komplikationen oder akuter Strahlenkrankheit. Unter ihnen befand sich:
- 🎥 ein Kameramann
- 👨⚕️ ein Arzt
- 👨🚒 sieben Feuerwehrleute
- 👩💼 zwei Aufsichtsorgane
- 👨🏭 30 Angehörige des Kraftwerkspersonals
Die Anzahl der tatsächlich geschädigten und verstorbenen Personen liegt deutlich höher. Alleine von den etwa 830.000 Liquidatoren sind schätzungsweise 112.000 bis 125.000 Menschen an der Folgen ihrer Arbeit gestorben. Die Zahl der Tot- und Fehlgeburten sowie der Schilddrüsenkrebs- und anderen Krebserkrankungen ist stark angestiegen.
☢️ Ursachen für die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl
Der Unfall in Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl im April 1986 war der bis dahin größte Unfall in der Geschichte der Kernenergie. Gravierende Mängel in der Bauweise des sowjetischen Reaktortyps, eklatante Sicherheitsmängel und grob fahrlässige Fehler der Bedienungsmannschaft ließen den Reaktor währen eines Tests außer Kontrolle geraten und explodieren.
Die Tschernobyl-Katastrophe und ihre Folgen
Am 26. April 1986 explodierte im Atomkraftwerk Tschernobyl der Reaktor-Block 4. Radioaktive Teilchen wurden Tausende Meter hoch in die Atmosphäre geschleudert. Luftströme tragen gesundheitsgefährdende Stoffe über ganz Europa. Was waren die Folgen?
Tschernobyl: Elefantenfuß
🐘 Arbeitende, die den Reaktor nach der Explosion säubern mussten, machten eine skurrile Entdeckung: Sie stießen auf einen riesigen Elefantenfuß! So beschreiben sie zumindest die gigantische Skulptur, die sich aus radioaktivem Brennstoff, geschmolzenen Reaktorteilen, chemischen Reaktionsprodukten, Sand und Beton gebildet hat.
☢ Die lavaartige Mischung wird als Corium bezeichnet - ein Kunstwort aus Core, dem englischen Wort für (Reaktor)Kern, und der Endung -ium, auf die typischerweise chemische Elemente enden. Der Elefantenfuß von Tschernobyl ist die größte Ansammlung der giftigen Substanz weltweit.
Abschaltung des Kraftwerkes in Tschernobyl
❌ Nach der Nuklearkatastrophe wurden bis zum Jahr 2000 nach und nach alle Blöcke des Kraftwerks außer Betrieb genommen: 1991 Block 2, 1996 Block 1 und zuletzt Block 3 im Dezember 2000.
Tschernobyl heute
👻 Die Stadt Prypjat liegt in unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerks und ist heute eine Geisterstadt und Zentrum des Sperrgebiets. Vor dem Unfall lebten dort fast 50.000 Menschen, hauptsächlich Beschäftige des Kernkraftwerks und deren Familien.
🏠 Viele Gebäude wurden renoviert und dienen als Unterkünfte für Arbeitskräfte. Nur wenige Menschen leben in der Region, sie lehnten es nach dem Unfall ab, ihr Haus zu verlassen, oder kehrten nach der Katastrophe in ihre Dörfer zurück.
📸 Seit Juli 2011 ist das Gebiet um das Kernkraftwerk für Tourist:innen geöffnet, seitdem gehen Hunderttausende Besucher:innen trotz strenger Sicherheitsmaßnahmen dieser Art von Extremtourismus nach.
☢ Laut der Umweltschutzorganisation Blacksmith Institute zählte Tschernobyl in der 2006, 2007 und 2013 veröffentlichten Liste jeweils zu den 10 Orten mit der größten Umweltverschmutzung weltweit.
Tschernobyl: Die Strahlung heute
Rund um den havarierten Reaktor befindet sich bis heute ein etwa 2.600 Quadratkilometer großes Sperrgebiet, das mit radioaktiver Strahlung verseucht ist. Die Sperrzone darf nur mit Genehmigung betreten werden. In den Randgebieten der Sperrzone ist die Strahlung kaum höher als die natürliche Strahlung, während sie direkt am Reaktor bis auf das 1000-fache ansteigt.
Tschernobyl: Auswirkungen für die Tiere
🐾 Nach der Reaktorkatastrophe im April 1986 starben viele der dort lebenden Tiere.
🐛 Im Umkreis von 7 Kilometern starben zuerst fast alle Würmer, Insekten und Spinnen, später ein Großteil der Nagetiere.
😔 Die Zahl der Fehlgeburten, Tumore und Deformationen stieg stark an.
🦆 Mit abnehmender Strahlung erholte sich der Tierbestand, und mittlerweile leben in radioaktiv belasteten Gebieten teilweise sogar mehr Tiere als vor dem Unfall.
🐟 Bei Fischen, Amphibien und Säugetieren bilden sich Anomalien und Mutationen aus.
🐣 Obwohl die Tiere gesundheitsgefährdend hohe Mengen radioaktiver Substanzen in ihrem Körper anreichern, scheint das die Fortpflanzung der Tiere nicht zu beeinflussen.
Wo ist Tschernobyl?
Tschernobyl: Chronologie der größten Reaktor-Katastrophe aller Zeiten
Strahlenkrankheit Tschernobyl
Radioaktive Strahlung ist unsichtbar und wird mit der Luft eingeatmet oder gelangt über die Haut in den Körper und reichert sich dort an. Von ihr geht eine ionisierende Strahlung aus, die zu Krebs und anderen Krankheiten führen kann.
Selbst 20 Jahre nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl werden in den am meisten betroffenen Regionen deutlich mehr Krebsfälle verzeichnet, wobei es eine besondere Häufung an Schilddrüsenkrebs gibt.
Tschernobyl: Die Doku und Serie
Viele Menschen kennen die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl nur aus Erzählungen oder Berichten. Eine dreiteilige Dokumentation und eine Serie vermitteln mit Bildern und Berichten von Überlebenden Eindrücke der Katastrophe.
Die Serie "Chernobyl"
Im Jahr 2019 wurde die Fernsehserie "Chernobyl" erstmals ausgestrahlt. Sie zeigt die Folgen der Reaktorkatastrophe und beruft sich weitgehend auf reale Begebenheiten. Zuschauende erleben, wie es zur Katastrophe kommen konnte und die schockierenden Auswirkungen auf die direkte und weitere Umgebung. Die Mini-Serie wurde 2020 mit dem Golden Globe ausgezeichnet.
Tschernobyl Doku - Die wahren Heldinnen und Helden der Katastrophe
Im 2. Teil der Galileo-Tschernobyl-Doku schildern die Überlebenden, die echten Menschen hinter den Figuren der Serie "Chernobyl", ihre Erlebnisse und verraten, unter welchen Folgen sie heute noch leiden.
Atomkraft im Wandel der Zeit
Tschernobyl: Chronologie der größten Reaktor-Katastrophe aller Zeiten
Ein Jahr im Zeichen der Katastrophe
1986 stand ganz im Zeichen der atomaren Katastrophe. Jedes Jahr veröffentlicht die Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. das "Wort des Jahres". Eine Jury wählt dabei Wörter, die das Jahr gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich geprägt haben. Entscheidend für die Wahl ist die Popularität des Wortes. Hier sind die Top 3 von 1986:
1. Tschernobyl
So lautet der Name des Kernkraftwerks. Es ist nach der 18 Kilometer entfernten Stadt Tschernobyl benannt. Die angrenzende Stadt (4 Kilometer) an das AKW heißt Pripjat. Sie wurde 1970 gegründet, die Arbeitende mit ihren Familien lebten dort. Vor dem GAU hatte Pripjat etwa 50.000 Einwohner:innen. Danach wurde die Stadt zur verlassenen Atomruine.
2. Havarie
Bedeutet: durch einen Unfall entstandener Schaden. Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS nutzte diesen Begriff, als sie erstmals den Reaktor-Unfall meldete.
3. Super-GAU
Heißt, dass eine Katastrophe im Kernkraftwerk außer Kontrolle geraten ist. Der Begriff ist umgangssprachlich. Seit 1990 gibt es eine Skala für die Bewertung von Atom-Unfällen.
Die wichtigsten Informationen zur Katastrophe von Tschernobyl im Überblick
Fast die Hälfte der 2.600 Quadratkilometer großen Sperrzone wird für immer verstrahlt bleiben, da das radioaktive Plutonium eine Halbwertzeit von 24.000 Jahren hat. Andere Bereiche könnten nach 30 bis 60 Jahren wieder besiedelbar sein, eine Rekultivierung erscheint aber nicht sinnvoll.
Die genau Anzahl der Toten durch Tschernobyl ist nicht bekannt und schwankt stark mit den verschiedenen Quellen. Mehrere Organisationen behaupten, dass mindestens 6.000 Personen verstarben, andere schreiben sogar von über 100.000 Toten.
Die Sperrzone rund um das Kernkraftwerk Tschernobyl ist verstrahlt und weist im Schnitt 50 bis 100-mal höhere Strahlenwerte als die Normalstrahlung auf. Innerhalb eines Tages nimmt man dort etwa 5 bis 10 Prozent der jährlichen Normaldosis auf.