Orthodoxes Judentum: Wenn das ganze Leben zum Gottesdienst wird
- Aktualisiert: 12.12.2023
- 18:04 Uhr
- Galileo
Wie bei den Christen gibt es auch im Judentum orthodoxe Strömungen. Was macht sie so besonders? Und was bedeutet eigentlich ultraorthodox? Ein Überblick. Im Clip: Wie leben jüdische Menschen in Deutschland?
Orthodoxes Judentum: Das Wichtigste zum Thema
Der griechische Begriff orthodox setzt sich aus Orthos (richtig) und Doxa (Glaube) zusammen. Er bedeutet so viel wie recht- oder strenggläubig.
Unter Orthodoxie versteht man die strenge Auslegung der religiösen Texte. Sakrale Riten, Feste, Gewänder und Symbole haben eine große Bedeutung und gehen meist auf uralte Traditionen zurück.
Orthodoxe Gläubige gibt es im Judentum genauso wie im Christentum und Islam. Die besonders strenge Form von orthodox nennt man ultraorthodox.
Wenn jemand im Berufs- oder Privatleben als orthodox bezeichnet wird, ist das meist kein Kompliment. Hier steht der Begriff schon mal für unflexibel, rückwärtsgewandt, starrsinnig, festgefahren, aber eben auch für prinzipientreu, unbeirrt und mit klarer Linie.
Von modern bis ultra: So unterschiedlich kann orthodoxer Glaube sein
Das orthodoxe Judentum ist neben dem liberalen und dem konservativen eine der Hauptströmungen des heutigen Judentums. Dabei wird noch mal in zwei Richtungen unterteilt: in modern-orthodoxes und ultraorthodoxes Judentum.
Im 19. Jahrhundert taucht der Begriff "orthodoxes Judentum" zum ersten Mal auf - als Abgrenzung zum damals neu entstehenden Reform-Judentum.
Orthodoxe Juden orientieren sich an der schriftlich und mündlich überlieferten Lehre. Die ist in der Tora und dem Talmud niedergeschrieben. Die Tora gilt im orthodoxen Judentum als maßgebendes Wort Gottes, das sich aber stets weiterentwickelt.
Die Tora ist so prägend für das orthodoxe jüdische Leben, dass das ganze Leben eines Menschen als Gottesdienst verstanden wird. Das heißt: Man stellt sich immer in den Dienst seiner Religion, hört auf ihre Regeln und lebt konsequent nach ihnen.
So lebt eine orthodoxe Jüdin in New York
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Internet oder TV? Vergiss es!
Insbesondere an ihrem Kleidungsstil unterscheiden sich ultraorthodoxe Juden von den übrigen orthodoxen. Sie stehen dem weltlichen Wissen ablehnend gegenüber und führen ein streng reguliertes, meist auf ein rabbinisches Oberhaupt ausgerichtetes Leben abseits der Mainstream-Gesellschaft.
So besitzen die meisten ultraorthodoxen Juden weder ein internetfähiges Handy noch einen Fernseher.
Die Zahl der ultraorthodoxen Juden wird weltweit auf ca. 1,3 bis 1,5 Millionen geschätzt. Davon lebt der größte Teil in Israel - etwa 700.000. In den USA und Kanada sind es etwa 500.000.
Zentren des ultraorthodoxen Judentums außerhalb von Israel gibt es vor allem in
- USA: New York (speziell im Stadt-Teil Brooklyn)
- England: London, Manchester und Gateshead
- Frankreich: Straßburg
- Belgien: Antwerpen
- Österreich: Wien
- Schweiz: Zürich
Arbeit, Familie und Politik: Bei ultraorthodoxen Juden läuft einiges anders
Rund 60 bis 70 Prozent der ultraorthodoxen jüdischen Männer in Israel arbeiten nicht.
Sie verbringen fast die gesamte Zeit in einer religiösen Lehranstalt und studieren religiöse Schriften. Teilweise werden sie vom Staat finanziell unterstützt.
In der Regel heiraten sie im Alter von 18 bis 20 Jahren und haben im Durchschnitt sieben Kinder.
Auch Frauen gehören zur ultraorthodoxen Gemeinschaft. Manche verstecken nach der Hochzeit ihre Haare in der Öffentlichkeit oder tragen sogar Perücken.
Mehr als die Hälfte der ultraorthodoxen israelischen Juden lebte 2018 unter der Armutsgrenze.
Viele Ultraorthodoxe sind von der Wehrpflicht in Israel freigestellt. Einer der Gründe: Manche Gruppierungen lehnen den Staat Israel in seiner heutigen Form ab, da ihrer Ansicht nach nur der Messias einen jüdischen Staat wieder errichten darf.
Ultraorthodoxe Gruppierungen und Parteien haben seit der Staatsgründung Israels einen bedeutenden politischen Einfluss. Ohne ihre Unterstützung können sich oft keine Regierungsmehrheiten bilden.
Das Wichtigste im Leben eines ultraorthodoxen Juden ...
☝️ … ist die Einhaltung des Sabbats - auch Schabbat genannt. Das bedeutet in etwa Ruhepause und ist für Juden der siebte Wochentag. Insbesondere die Sabbat-Regeln sind von enormer Bedeutung.
📜 Am Sabbat gibt es 39 verbotene Hauptarbeiten. Alles planvolle zielgerichtete Tun, das mit dem Werktag verbunden ist, fällt unter dieses Verbot.
🙏 Eine Ausnahme ist zum Beispiel, wenn ein Menschenleben gefährdet ist.
👌 Um die Sabbat-Regeln möglichst nicht zu verletzen, greifen ultraorthodoxe Juden auch zu Hilfsmitteln.
💡 So nutzen sie zum Beispiel Bewegungsmelder, um am Ruhetag die Lichtschalter nicht berühren zu müssen.
Orthodoxes Judentum in Deutschland
Vor dem Nationalsozialismus war Deutschland ein wichtiges Zentrum für verschiedene Strömungen des Judentums. Im Holocaust - auch als Shoah (hebräisch für "Untergang, Katastrophe") bezeichnet - wurden von den Nationalsozialisten bis 1945 bis zu 6,3 Millionen europäische Jüdinnen und Juden ermordet. Damit wurde das jüdische Leben in Deutschland fast komplett vernichtet.
Seit 1990 erhöhte sich die Zahl der in Deutschland in Gemeinden organisierten Jüdinnen und Juden auf über 90.000 - in der Mehrheit orthodoxe Juden. Vor allem aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion wanderten die Menschen nach Deutschland ein.
Dabei leben sowohl ultraorthodoxe als auch modern-orthodoxe Jüdinnen und Juden in Deutschland. Aber auch liberale Gemeinden werden neu gegründet.