Krise in Kasachstan: Das steckt hinter dem bewaffneten Konflikt
- Veröffentlicht: 17.01.2022
- 18:00 Uhr
- Sven Hasselberg
Mit Hilfe Russlands schlug Kasachstans Präsident den Volksaufstand brutal nieder. Wir erklären dir, wie es dazu kam und warum Moskaus Einfluss immer noch so groß ist.
Das Wichtigste zum Thema Kasachstan
Am 2. Januar demonstrierte das kasachische Volk gegen gestiegene Treibstoffpreise. Daraus entwickelte sich ein Protest gegen das Regime. Fast 10.000 Menschen wurden verhaftet, Tausende verletzt. Es gab über 160 Tote.
Kasachstan ist eine Präsidialrepublik in Zentralasien, reich an Gas- und Ölvorkommen. Das Regime unter Präsident Kassym-Schomart Tokajew und vor allem unter Ex-Präsident Nursultan Nasarbajew bereicherte sich, während sich die Lebensbedingungen des Volkes verschlechterten.
Meinungs- und Pressefreiheit sind ebenso wenig garantiert wie Rechtsstaat und freie Wahlen. Die Proteste eskalierten. Es kam zu Plünderungen und Brandstiftung.
Das Volk stürmte Verwaltungsgebäude. Präsident Tokajew gab Schießbefehl und rief das von Russland dominierte Verteidigungsbündnis OVKS zur Hilfe. Unten erklären wir dir, was es damit auf sich hat.
Die NATO, die EU und auch Deutschland baten um Deeskalation. Tokajev nannte das "dumm". Er sprach von Terroristen und einem Putschversuch. Immer wieder wurde angedeutet, der Westen hätte die Proteste angefeuert. Die Armee und die OVKS schlugen den Aufstand nieder.
Kasachstan - Zahlen und Fakten
Fremde Truppen rücken an
Kasachstan gilt als größte Volkswirtschaft Zentralasiens. Der Reichtum der Öl- und Gasfelder kommt beim Volk nicht an. Besonders nachdem 2013 die Ölpreise sanken, stürzte die Republik in eine Wirtschaftskrise. Zwar war das Land dabei, sich zu erholen, doch nun führte die Pandemie mit der Unterbrechung von Lieferketten dazu, dass in Kasachstan die Preise stiegen.
Die Führungselite soll sich weiterhin bereichert haben. Allen voran Ex-Präsident Nasarbajew galt als korrupter Strippenzieher im Hintergrund. Die Demonstrantinnen und Demonstranten forderten, er müsse verschwinden und skandierten, Kasachstan sei zu seinem "Privatunternehmen" verkommen. Einerseits gab Präsident Tokajew den Schießbefehl auf sein Volk, andererseits wandte auch er sich gegen seinen Vorgänger. Die Fotostrecke erklärt dir mehr zum Machtkampf.
Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb Kasachstan Russland stets eng verbunden. Tokajew rief am 5. Januar das Verteidigungsbündnis OVKS zur Hilfe. Es besteht aus ehemaligen Sowjetstaaten. Im Ernstfall können die Mitglieder die anderen um militärische Hilfe bitten. Neben Kasachstan und Russland zählen Armenien, Belarus, Kirgisistan und Tadschikistan dazu.
Das Bündnis sendete vor allem russische Soldaten und Panzer, Fallschirmjäger sprangen ab und schlugen den Aufstand mit der kasachischen Armee nieder. Am 11. November erklärte Tokajew, die OVKS-Truppen werden wieder abziehen.
Diese Männer kämpfen um die Macht
Krise in Kasachstan: Das steckt hinter dem bewaffneten Konflikt
So verhält sich Deutschland im Konflikt
Russland will seine Machtposition in der Region aufrechterhalten. Nähert sich ein Ex-Sowjetstaat, wie die Ukraine, dem Westen an, schlägt Russland zu. Es hält Teile der Ukraine besetzt und die Welt fürchtet eine neue militärische Invasion. In anderen Staaten, wie Belarus oder nun in Kasachstan, verlässt sich die antidemokratische Führung auf den Schutz des großen russischen Bruders.
Die NATO oder die EU mahnen zögerlich. Niemand will Russland reizen, damit es doch noch in der Ukraine einmarschiert. Außerdem hält sich die NATO diplomatisch offen, das eigene Bündnis auf andere Staaten im Osten zu erweitern.
Auch Deutschland verhält sich vorsichtig. Es ist von Öl- und Gaslieferungen aus der Region abhängig und hat ebenfalls kein Interesse, sich mit Russland zu überwerfen. Selbst im Fall von Belarus, wo Wahlen manipuliert und tausende Regimekritiker verhaftet, gefoltert und getötet wurden, ließ der Westen Diktator Lukaschenko davonkommen. Meist werden wirtschaftliche Sanktionen verhängt. So stoppte Deutschland nun seine Rüstungsexporte nach Kasachstan. Das ist eher ein symbolischer Akt. Der Gegenwert beläuft sich nur auf 2,2 Millionen Euro. Kasachstan importiert 3,9 Prozent seiner Waren aus Deutschland. Insofern ist es ein guter Exportmarkt.
Kasachstan - größte Volkswirtschaft Zentralasiens
Unabhängig oder russisch - eine Zeitreise
1450: Die kasachischen Nomaden wollten sich nicht dem frischgegründeten Usbeken-Khanat unterwerfen. Sie gründeten ihr eigenes Khanat der Kasachen. Zum ersten Mal formierte sich eine eigene Nation.
1518: Rivalisierende Stämme spalteten sich auf. Schließlich gab es 3 konkurrierende Volksgruppen, die sich erst 20 Jahre später wieder vereinigen.
1731: Die erneut verfeindeten Stämme unterwarfen sich Russland, was zu dessen Oberhoheit führte. Sie hielt bis 1812. Dann gab es einen erneuten Versuch, ein eigenes Khanat zu bilden, das 10 Jahre später schon wieder Geschichte war. 1868 hatten die Russen wieder die Oberhoheit über alle Gebiete.
1917: Im Zuge der russischen Revolution gab es die Bestrebung, einen muslimischen Staat aufzubauen, der als Gegenmodell zum Kommunismus existieren sollte. Dies scheiterte und Kasachstan wurde eine Sowjetrepublik.
1928: Unter dem kommunistischen Regime, das die Nomaden zur Sesshaftigkeit zwang und eine Agrarreform samt Zwangskollektivierung durchführte, kam es zu einer großen Hungersnot. 30 Prozent der Bevölkerung, rund 1,5 Millionen Kasachen und Kasachinnen starben. Die Not dauerte bis 1933.
1991: Mit dem Zerfall der Sowjetunion, wurde Kasachstan unabhängig. Nursultan Nasarbajew, ehemals Vorsitzender des Ministerrates der kasachischen Sowjetrepublik, wird der erste Präsident. Er war zuvor also schon Teil des Kaders.
1995: Der Präsident gewann wieder die Wahlen. Das Verfassungsgericht erklärte sie für ungültig. Daraufhin löste der Präsident Regierung und Parlament auf. Weitere Volksabstimmung folgten, mit denen der Präsident die Macht des Parlamentes zu seinen Gunsten beschnitt.
2007: Verfassungsänderungen führten dazu, dass es für den Präsidenten keine begrenzte Amtszeit mehr gibt. Nasarbajew konnte sich immer wiederwählen lassen. Der Kult um seine Person wurde staatlich vorangetrieben.
2010: Korruptionsvorwürfe führten zu Ermittlungen der Schweizer Staatsanwaltschaft gegen seine Familie wegen Geldwäsche. Das Land selbst wurde von der internationalen Finanzkrise schwer gebeutelt. Das Sinken der Ölpreise führte 2013 zu einer erneuten Wirtschaftskrise.
2019: Nach fast 30 Jahren im Präsidentenamt ließ sich Nasarbajew von seinem politischen Ziehsohn Kassym-Schomart Tokajew ablösen. Er selbst blieb mächtiger Vorsitzender der Regierungspartei, Chef des Sicherheitsrates und hatte weiterhin Immunität. Er erhielt den Ehrentitel "Führer der Nation".
2022: Am 2. Januar begannen die Proteste wegen der hohen Gaspreise. Sie zogen regimekritische Demonstrationen nach sich. Tokajew gab Schießbefehl und schlug den Aufstand mithilfe von Russland und der OVKS nieder.