Forschungs-WG im All: So leben und arbeiten Astronaut:innen auf der ISS
- Veröffentlicht: 10.03.2022
- 19:45 Uhr
- Peter Michael Schneider
Vor über 20 Jahren bezogen Raumfahrer die exklusivste WG aller Zeiten: die ISS. Dort wird unter härtesten Bedingungen für die Wissenschaft gewohnt, geforscht und trainiert. Extra im Clip: 10 Fragen an eine Astronautin.
Das Wichtigste zum Thema ISS
Völlig losgelöst: Die Internationale Raumstation ISS ist ein in 400 Kilometer Höhe fliegendes Labor mit einer Forschungs-Wohngemeinschaft als Besatzung. Ihr Zweck: Wissenschaft in der Schwerelosigkeit.
Bisher hat die 3- bis 6-köpfige Besatzung mehr als 2.500 Experimente an Bord der ISS ausgeführt. Die europäische Raumfahrtbehörde ESA hat zudem Tausende Patente für die Nutzung der Ergebnisse auf der Erde angemeldet.
Die Flugbahn der ISS ist um 51,6° gegen den Äquator geneigt. Auf der Weltkarte sieht es aus, als flöge sie in Kurven - eine Illusion. In Wirklichkeit dreht sich die Erde unter der Station, so dass ihre Position bei jeder ihrer etwa 90-minütigen Umrundungen versetzt erscheint.
10 Jahre lang lebte die Besatzung auf einer Baustelle. Erst 2010 wurde die ISS fertig und kostete etwa 120 Milliarden Euro - inklusive der Transportflüge ins All. Laufende Unterhaltskosten: mehr als 3 Milliarden Euro im Jahr.
Müffel-Alarm im Forschungs-Paradies: Laut Astronauten-Legende Scott Kelly riecht die Station nach Gefängnis: eine Mischung aus "Desinfektionsmittel, Müll und Körpergerüchen".
Das WG-Leben auf der ISS
Forschungs-WG im All: So leben und arbeiten Astronaut:innen auf der ISS
Endlich Waschmittel für die Forschungs-WG
💪 Schon kurz nach ihrer Ankunft müssen die Astronaut:innen jeden Tag 2 Stunden trainieren. Sonst droht akuter Muskelschwund. Schon nach 3 Wochen ohne Sport droht ein Herzinfarkt.
🦨 An Bord der ISS gibt es keine Waschmaschine. 2016 verriet der belgische Astronaut Frank De Winne, wie lange die Crew trotz täglichen Workouts mit ihren Klamotten auskommen muss: Hemden 1 Monat, Socken 1 Woche. Glück für alle: Unterwäsche darf alle 2 Tage gewechselt werden.
♻️ Wasser ist auf der ISS so knapp, dass selbst Urin und Schweiß wieder zu Trinkwasser recycelt werden. Deshalb kam eine Waschmaschine lange Zeit nicht in Frage. Dreckige Wäsche wird bisher im All entsorgt, wo sie verglüht.
🧼 Für längere Mond- und Mars-Missionen feilt die ISS aber an einer Lösung des Wäsche-Problems. Die Waschmittel-Firma Procter & Gamble entwickelte nun mit der Marke "Tide" das erste Waschmittel fürs All. Seit Anfang 2022 wird es auf der ISS getestet.
🧺 Procter & Gamble arbeitet auch an einer wasser- und platzsparenden Waschmaschinen-Trockner-Konstruktion, in der das Waschmittel dann zum Einsatz kommt.
💩 Ohne Schwerkraft ist der Toilettengang eine echte Challenge. Ein leichter Unterdruck zieht den Unrat zwar ins Weltraum-Klo, doch offenbar schwebt bisweilen ein Teil davon in die falsche Richtung davon. Methan aus dem Darm der Astronaut:innen wird mit Aktivkohle aus der Luft gefiltert.
🛀 Klebrig Haar ist dir gegeben… das Hygiene-Konzept erinnert ans Barockzeitalter, in dem mehr gepudert als geputzt wurde. Während ihrer Monate an Bord muss das Team sich mangels Dusche Trocken-Shampoo in die Haare reiben und es dann auskämmen.
😴 Schlafen wie im Camping-Urlaub: Nach ihrer Laborschicht kriechen die Weltraum-Reisenden müde in einen Schlafsack. Der lässt sich zwar nicht zum Lüften aus dem Fenster hängen. Doch immerhin: Ein Großteil des Muffs bleibt dabei eingeschlossen.
♻️ Stoßlüften geht auf der ISS eh nicht. Durch das effektive Lebenserhaltungs-System atmen die Astronaut:innen jahrelang mehr oder weniger die gleiche Luft. Und das Trinkwasser? Durchquert ebenfalls mehrere Male die astronautischen Körper.
Der Deutsche in der Forscher-WG
Matthias Maurer ist der 12. Deutsche im Weltraum und der 4. auf der ISS. Der ESA-Astronaut ist am 11. November gestartet (hier findest du alles zum Start von Matthias Maurer) und knapp einen Tag später angekommen.
Maurer spricht Russisch, Chinesisch sowie Französisch, Englisch und Spanisch. Eigentlich ist er promovierter Ingenieur für Materialwissenschaft und hält zudem mehrere Patente.
Seine größte Angst: dass er den Flug verpassen könnte. Zumindest das ist nun passé.
Was ist Maurers nächstes Ziel nach der ISS?
ISS - die Basics des fliegenden High-Tech-Labors
Mit ausgefahrenen Solar-Paneelen ist die Raumstation ungefähr so groß wie ein Fußball-Feld: etwa 110 Meter lang, 88 Meter breit und 45 Meter hoch. Der Innenraum der gut ein Dutzend Module ist mit 1.200 Kubikmetern aber zusammengenommen nur so groß wie ein kleine Werkhalle.
Die ISS wiegt mit rund 400 Tonnen in etwa so viel wie eine vollbesetzte Boeing 747. Allerdings ist sie mit etwa 28.800 km/h ungefähr 30 mal schneller als ein Jumbo. Deswegen braucht sie nur 93 Minuten, um die Erde zu umrunden.
Die Triebwerke einer 747 leisten mehr als 250.000 PS! Die Solarzellen der ISS erzeugen gerade mal 115 PS (85 KW), so viel wie ein durchschnittlicher VW Golf. Ganz fair ist die Rechnung nicht: Die ISS muss sich ja nicht aus eigener Kraft in der Luft halten.
Auch in 400 km Höhe gibt es noch Luftmoleküle - wenn auch nur wenige. Sie reichen aber aus, um die ISS abzubremsen: Jeden Tag sinkt die Station 50 bis 150 Meter und muss alle 2 Monate über die angedockten Raumschiffe angehoben werden, um nicht abzustürzen.
Forschen im All ist gefährlich: Die Crew muss regelmäßig in das angedockte Sojus-Raumschiff flüchten, wenn ein Kollision mit einem Satelliten droht. 2018 fanden die Astronaut:innen sogar ein Loch im Rumpf der ISS.
Wie weint man im All?
Astronaut Scott Kelly zeigt, wie es sich anfühlt, im Weltraum eine Träne zu verdrücken (auf Englisch). Warum er dabei ein Gorilla-Kostüm trägt, bleibt sein Geheimnis.
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Raumstation im freien Fall
Die ISS fliegt in 400 Kilometer Höhe. Dort herrscht aber nicht etwa Schwerelosigkeit. Ein Crew-Mitglied wiegt auch dort noch 90 Prozent seines Körpergewichts.
Er würde also zurück zur Erde fallen und wegen des fehlenden Luftwiderstands sogar mehrfache Schallgeschwindigkeit erreichen (so wie Felix Baumgartner bei seinem Rekordsprung aus 39 Kilometer Höhe).
Die Astronaut:innen in der ISS sind nur schwerelos, weil diese so schnell um die Erde rast. Dabei "fällt" sie physikalisch gesehen zwar in Richtung Erde, doch genau entlang der Erdkrümmung.
Deswegen erreicht die Station kurioserweise nie den Erdboden. Die Crew darin erlebt die Schwerelosigkeit so ähnlich wie Passagiere in einem Flugzeug, das in ein tiefes Luftloch fällt.
Music nonstop
ISS-Forschung für die Erde
Die Technik, mit der auf der ISS das Wasser gereinigt wird, wird auch auf der Erde eingesetzt: dort, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.
Mit dem Roboter-Arm der ISS fangen die Astronaut:innen die Versorgungsschiffe ein. Auf der Erde wurde die Technik zu einem chirurgischen Roboter weiterentwickelt, mit dem sich Gehirntumore entfernen lassen.
Ursprünglich wollten Forschende auf der ISS rausfinden, ob sich auf dem Saturn in kalten Plasmen Kristalle bilden können. Die Erkenntnisse aus diesem abgedrehten Experiment führten zu einem Gerät, mit dem sich Wunden sterilisieren lassen.
Für manche ist die ISS ein Symbol technischen Fortschritts und ein friedliches Symbol der Menschheit und ihrer Kulturen. Kritiker:innen meinen, das Geld hätte viel effektiver für Forschung auf der Erde eingesetzt werden können.
Die Erde von der ISS aus im Zeitraffer
Die ISS umkreist die Erde jeden Tag fast 16 Mal. Aber die Forschenden sehen nicht nur uns, wir können auch sie sehen: In der Morgen- und Abenddämmerung ist die Station von Deutschland aus fast täglich als hellster Punkt am Himmel zu verfolgen.
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Pro und Contra: Machen die Aufenthalte auf der ISS Sinn?
Bemannte Raumfahrt kostet viel Geld. Bis heute hat die ISS mehr 150 Milliarden Euro verschlungen. War das gerechtfertigt? Das meint Matthias Maurer: "Für viele Nationen hat Raumfahrt mit Strategie und Militär zu tun. Wir Europäer machen Raumfahrt aus anderen Gründen: Wir wollen über den Menschen an sich lernen und Experimente machen."
Doch manche Wissenschaftler:innen meinen, es sei sinnvoller, Roboter ins All zu schicken. Viele Experimente auf der ISS seien sogar überflüssig. Matthias Maurer argumentiert dagegen: Viele Erkenntnisse könnten nur in der Schwerelosigkeit gewonnen werden. Außerdem fehle Robotern eine wichtige Eigenschaft: Sie könnten nicht von ihren Erfahrungen berichten. "Menschen träumen davon, in den Weltraum zu fliegen. Das ist Teil meiner Mission."
Was meinst du: Braucht die Menschheit eine Forschungsstation im All?
Was kommt nach der ISS?
FAQs zur ISS
Die ISS ist eine internationale Raumstation, die mit einer Besatzung von normalerweise 6 Astronaut:innen um die Erde kreist.
Die ISS ist ein hochspezialisiertes Labor. Die Astronaut:innen versuchen, in der Schwerlosigkeit neue Werkstoffe und Medikamente zu entwickeln. Auf der Erde ist solche Forschung wegen der Schwerkraft nicht möglich.
Der Bau und der Unterhalt der ISS hat bisher mehr als 100 Milliarden Euro gekostet.
Die ISS fliegt in etwa 400 Kilometern Höhe auf einer erdnahen Umlaufbahn (Orbit).
Die 450 Tonnen schwere ISS hat eine Spannweite von 109 Metern und ein Volumen von 1.200 Kubikmetern. Das entspricht etwa einer 400 Quadratmeterwohnung - allerdings mit Wänden zu allen Seiten.
Die ISS ist nach dem Mond das hellste Objekt am Nachhimmel. Um zu sehen, wann die ISS live über dich hinweg fliegt, checkst du am besten die Webseite astroviewer.net. Eine gute App fürs Smartphone ist zum Beispiel "ISS Spotter".