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Fakten oder Fake? Das Anti-Corona-Flugblatt der "Freiheitsboten" im Check

  • Veröffentlicht: 11.02.2021
  • 12:52 Uhr
  • Carina Neumann-Mahlkau
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© picture alliance / rtn - radio tele nord | rtn, frank bründel

Am 10. Februar kündigten die sogenannten "Freiheitsboten" an, erneut Corona-kritische Flugblätter in Deutschland zu verteilen. Wer steckt hinter der Aktion - und was hinter den zentralen Behauptungen? Ein Fakten-Check.

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Das Wichtigste zum Thema Flugblätter der "Freiheitsboten"

  • Die sogenannten "Freiheitsboten" sind ein Zusammenschluss verschiedener Corona-Kritiker. Gegründet wurde die Initiative ursprünglich von Dr. Bodo Schiffmann, einem umstrittenen HNO-Arzt aus Baden-Württemberg.

  • Er ist bekannt in der Szene der Impfgegner und Corona-Leugner und hielt Ansprachen auf mehreren Querdenker-Demos.

  • Am 10. Februar wollte die Gruppe 3 Millionen Flugblätter in Deutschland verteilen. Die Flyer landeten auch in den Briefkästen. Es ist die 5. Aktion dieser Art. Dieses Mal dreht sich der Inhalt der Flyer vor allem um das vermeintliche "Klinik-Sterben während der Pandemie".

  • Die "Freiheitsboten" organisieren sich über den Messenger-Dienst Telegram und kooperieren in ihren Flyer-Aktionen mit anderen Corona-kritischen Meinungsmachern - zum Beispiel "Eltern stehen auf" und dem Verein "Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie" - mehr dazu weiter unten.

  • Mit zweifelhaften Behauptungen wollen die "Freiheitsboten" erneut beweisen, dass die Pandemie ein von Politik und Medien aufgebauschtes Phänomen und keine echte Bedrohung ist.

  • Wir schauen uns das Flugblatt an und machen den Fakten-Check: Was steckt hinter den wichtigsten Behauptungen der "bundesweiten Desinformationskampagne", wie sie in den Medien oft genannt wird?

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Wie sieht dieses Flugblatt aus? Zum Flyer geht's hier

Vielleicht landet der Flyer auch in deinem Briefkasten? Laut ihrer Webseite schmeißen die "Freiheitsboten" ihr Flugblatt aber nicht in Postfächer, auf denen "Keine Werbung" steht.

Das 5. Flugblatt der "Freiheitsboten": Was ist dran am "Kliniksterben"?

💬 Behauptung

"Letztes Jahr schlossen in Deutschland zahlreiche Krankenhäuser. Das medizinische Personal wurde in Kurzarbeit geschickt oder gar entlassen. Auch eine in Ingelheim eröffnete Corona-Spezialklinik stellte ihre Tätigkeit Ende 2020 ein und entließ alle 190 Beschäftigten. Warum finden diese Klinik-Schließungen in einer Pandemie statt? Die Antwort ist einfach: Die verbliebene Bettenkapazität war zu jeder Zeit ausreichend."

✔️Fakten-Check

Tatsächlich werden in Deutschland jedes Jahr Kliniken geschlossen. Die Zahl der normalen Krankenhaus-Betten fiel seit 1991 um 25 Prozent. Die Zahl der Intensiv-Betten stieg im selben Zeitraum aber um 38 Prozent an.

Die Schließung der erwähnten Klinik Ingelheim stand schon länger fest. Nach ihrer Insolvenz wurde sie ab März 2020 aber noch eine Zeit als Spezialklinik für Covid-19-Fälle weiter betrieben.

Corona-Leugner führen schon seit Längerem immer wieder Listen mit Kliniken an, die schließen (sollen). Bei genauem Blick fällt aber auf: Einige der Kliniken schließen gar nicht, sondern werden nur zusammengelegt, umgewandelt oder an einen neuen Standort verlegt. Bei Kliniken, die zum Beispiel aus wirtschaftlichen Gründen schließen, handelt es sich meistens um kleine Kliniken ohne Intensiv-Stationen.

Als "Beweis" für das "Klinik-Sterben" führen die Autoren der Flugblätter einen Artikel über das Klinik-Sterben vom Oktober 2020 im Ärzteblatt auf. Der Artikel bezieht sich aber ausschließlich auf Kliniken in den USA und nicht in Deutschland.

💬 Behauptung

"Das sogenannte DIVI-Intensivregister, das die Belegung der deutschen Intensivstationen registriert, zeigte während des ganzen Jahres 2020 eine ungefähr konstante Bettenbelegung, die nur an Wochenenden und um Weihnachten schwankte. (…) Wir verkennen nicht, dass die Lage auf den Intensivstationen manchmal kritisch ist, halten es aber für unredlich, strukturelle Probleme dem Coronavirus zuzuschreiben und die Bevölkerung auf diese Weise zu verängstigen."

✔️Fakten-Check

Was hierbei nicht erwähnt wird: Um Kapazitäten für Covid-19-Patienten freizuhalten, wurden Patienten auf andere Stationen verlegt und nicht dringende Operationen verschoben.

Eine Sprecherin des Intensivregisters sagte kürzlich gegenüber der dpa (Deutschen Presse-Agentur): Bei höherer Belegung der Betten sei dieses Management für die Krankenhäuser "langsam nicht mehr möglich".

Der reine Blick auf die Intensiv-Betten ist außerdem wenig aussagekräftig. Die erwähnte Statistik des Intensivregisters zeigt: Das wahre Problem sind die Beatmungsgeräte. Und die freien Kapazitäten zur invasiven Beatmung sind während der Pandemie drastisch gesunken.

💬 Behauptung

"Begründet werden diese Grundrechtsbeschränkungen mit der These, dass auch gesunde (Anmerkung der Redaktion: symptomfreie) Menschen das Virus weitergeben und andere in der allgemeinen Öffentlichkeit dadurch in Lebensgefahr bringen. An dieser Behauptung hängt alles, sie ist aber ein Mythos. (...) Wissenschaftliche Studien haben klargestellt, dass Coronaviren von gesunden Menschen im Alltagsleben zwar gelegentlich weitergegeben werden können, dann aber nie schwere Erkrankungen auslösen."

✔️Fakten-Check

In unabhängigen Studien kamen internationale Forscher-Teams zu dem Schluss, dass Personen bereits infektiös sind, bevor sie die ersten Symptome bemerken. Das ist auch das Gefährliche daran: Auch vermeintlich "gesunde" Menschen tragen zur Ausbreitung bei. Das RKI schreibt hierzu beispielsweise, dass sich "ein relevanter Anteil von Personen bei infektiösen Personen innerhalb von 1-2 Tagen vor deren Symptombeginn ansteckt".

Außerdem zeigen sich bei vielen Infizierten nur leichte Symptome, die mit einer Erkältung zu verwechseln sind. Wenn sie dann ganz normal ihrem Alltag nachgehen, können sie unwissentlich andere anstecken. Auch gibt es laut RKI vermutlich auch Ansteckungen durch Personen, die eine Corona-Infektion haben, aber nie irgendwelche Symptome zeigen.

Fazit: Corona verläuft bei jedem Menschen anders. Nur, weil der Überträger einen leichten oder symptomfreien Verlauf hat, heißt das nicht, dass er nicht andere durch eine Ansteckung in Gefahr bringt.

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Partner der Initiative: ein Verein, dem der Status der Gemeinnützigkeit entzogen wurde

Als Partner und wissenschaftliche Quelle nennen die "Freiheitsboten" immer wieder den Verein "Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie, e.V." (MWGFD). Vereinsvorsitzender ist Dr. Sucharit Bhakdi, ein deutscher Facharzt für Mikrobiologie und Infektions-Epidemiologie im Ruhestand.

Sucharit Bhakdis Gesicht ist immer wieder auf Anti-Corona-Demos zu sehen - so wie hier im Sommer 2020.
Sucharit Bhakdis Gesicht ist immer wieder auf Anti-Corona-Demos zu sehen - so wie hier im Sommer 2020.© picture alliance / Rupert Oberhäuser | Rupert Oberhäuser

Bhakdi steht aufgrund von Falschaussagen zur Pandemie stark unter Kritik. Kürzlich sagte er etwa,  "Es ist unwahr, dass die Pandemie noch da ist." Von seinen Behauptungen hat sich seine ehemalige Universität ausdrücklich distanziert.

Kurz nach seiner Gründung wurde dem Verein der Status der Gemeinnützigkeit entzogen. Dennoch sammelte der Verein laut eigenen Angaben mehr als 400.000 Euro Spendengelder. Die sollen auch in die Produktion der Flugblätter fließen.

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Ein Blick ins Impressum

Laut Recherchen des unabhängigen Fakten-Check-Portals Correctiv änderte die Initiative seit ihrer Gründung im Dezember schon mehrmals die Adresse. Erst war es eine Anschrift in einem hessischen Wohngebiet, später eine Adresse in Dortmund.

Jetzt steht eine Adresse in London im Impressum der "Freiheitsboten". Laut Correctiv wird dort offenbar der Service angeboten, sich eine virtuelle Geschäftsadresse zu kaufen.

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