Weltraumbahnhof für Deutschland: Braucht den jemand?
- Veröffentlicht: 13.09.2021
- 19:00 Uhr
- Peter Schneider
Starten bald Trägerraketen von einem deutschen Weltraumbahnhof? Das könnte sein, denn sogar die Bundesregierung unterstützt nun eine Raketenplattform in der Nordsee. Doch macht das überhaupt Sinn?
Das Wichtigste zum Thema Deutscher Weltraumbahnhof
Weltweit boomt das Raketengeschäft. Nur in Deutschland gibt es weder Raketen noch Weltraumbahnhöfe - bisher jedenfalls.
Nun hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erklärt, den Vorschlag der deutschen Industrie für einen schwimmenden Weltraumbahnhof in der Nordsee zu unterstützen - vorerst aber nur in einer Absichtserklärung.
Das Argument: In Zukunft könnten 10.000 Kleinsatelliten ins All starten - ein Riesengeschäft. Um da mitzumischen, bräuchten deutsche Unternehmen einen eigenen Startplatz.
Kurios, aber nicht unüblich: Die Firmen, die die Plattform bauen wollen, hat schon mit 4 Raketen-Anbietern Verträge abgeschlossen - obwohl die Raketen dafür teilweise noch gar nicht existieren.
In Deutschland bauen derzeit 3 Unternehmen an Kleinraketen, darunter "Isar Aerospace" in Ottobrunn bei München. Ihre "Spectrum"-Rakete soll schon 2022 abheben. Erfahrungsgemäß dauert es aber lange, eine Rakete zu entwickeln. Der Erststart könnte sich also verschieben.
Ein Problem: Die Bundesrepublik und ihre Nachbarn sind dicht besiedelt. Das macht Raketenstarts gefährlich für die Bewohner.
So könnte der Start einer Rakete von einer schwimmenden Plattform in der Nordsee aussehen
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Wo ist die Raketen-Plattform in der Nordsee geplant?
Ein mögliches Startgebiet liegt in der Dogger Bank, etwa 450 Kilometer nordwestlich von Bremerhaven - eine Zone, die Deutschland wirtschaftlich nutzen darf. Von dort könnten Raketen abheben, ohne über bewohnte Gebiete zu fliegen.
Die Raketen müssten von deutschen Häfen aus einen guten halben Tag übers Meer zur Plattform transportiert werden.
Ähnlich wie bei Ölbohrungen kommen verschiedene Spezialfahrzeuge als Plattform in Frage. Derzeit ist der Plan, die Rakete vom Heck eines Schiffes zu starten.
Laut BDI würde der Startplatz den Steuerzahler in den ersten 5 Jahren nicht mehr als knapp 30 Millionen Euro kosten. Ab dann würde sich der Startplatz voraussichtlich selbst finanzieren. Ein Raketenstart würde etwa 600.000 Euro kosten.
Deutscher Weltraumbahnhof: zu klein für die Ariane
Wie realistisch ist ein Startplatz in der Nordsee?
🐳 Das Startgebiet liegt in einem Naturschutzgebiet. Die Raketen sollen dort nicht nur starten, sondern auch betankt werden. Raketentreibstoffe werden aber als gefährliche Güter eingestuft. Ob dafür eine Genehmigung erteilt wird: fraglich. Umweltorganisationen dürften gegen einen Startplatz klagen - und ihn damit am Ende vielleicht sogar verhindern.
🌊 Der BDI glaubt, dass der Startplatz das ganze Jahr genutzt wird. Das Wetter im angepeilten Zielgebiet ist aber häufig sehr stürmisch. Und ab einer bestimmten Wellenhöhe können Raketen nicht mehr starten.
✈️ So menschenleer ist die Nordsee gar nicht. In der Nähe stehen norwegische und englische Öl-Förderanlagen. Vor jedem Raketenstart müsste jeder Schiffs- und Flugverkehr eingestellt werden, laut Plan bis zu alle 2 Wochen.
🚀 Bereits in den 1990er Jahren hat die Firma Sea Launch ein riesiges Schiff plus Startplattform gebaut und darauf bis 2014 die Träger-Rakete Zenit gestartet. Zwischendurch ging das Unternehmen allerdings pleite.
💸 Vor jedem Start muss die Crew die Plattform aus Sicherheitsgründen verlassen und sie dann per Fernsteuerung auf Position halten. Technisch kein Problem, aber teuer zu bauen - einer von vielen ungewissen Kostenfaktoren.
(Fast) Freie Bahn nach Norden
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Qualitäts-Check für Raketenstartplätze
Raketen sollte man möglichst nah am Äquator starten. So bekommen sie zur eigenen Geschwindigkeit noch die der Erdrotation on top. Damit sparen sie Treibstoff beziehungsweise können mehr Nutzlast transportieren.
Das gilt vor allem für Telekommunikations-Satelliten, die entlang des Äquators um die Erde fliegen. Für Satelliten, die Nord- und Südpol überqueren, kommen auch Weltraumbahnhöfe weiter im Norden (oder Süden) in Frage.
Wichtig für alle Startplätze: Es sollte möglichst keiner in der entlang der Aufstiegsbahn wohnen. Sonst könnten den Bewohnern die ausgebrannten Raketenstufen aufs Dach fallen, wie es in China regelmäßig geschieht.
Viele berühmte Weltraumbahnhöfe liegen daher direkt am Meer oder in der Steppe, beispielsweise der ESA-Startplatz Kourou am Atlantik oder Baikonur in Kasachstan.
Mobile Alternative: Hat die Startplattform Räder, Flügel oder einen Rumpf, lässt sie sich an jeden beliebigen Ort der Erde transportieren. Das Prinzip nutzen beispielsweise Militärs für Atombomber und U-Boote. Aber auch neuerdings Firmen wie Virgin Orbit mit ihrem Jumbo "Cosmic Girl". Nachteil: Der logistische Aufwand wird größer.
Hier startet die Konkurrenz
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Wenn Raketen vom Himmel fallen
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Der erster Weltraumbahnhof der Welt: ein Startplatz des Todes
Die Deutschen hatten schon einmal einen Raketenstartplatz. Von der "Heeresversuchsanstalt Peenemünde" an der Ostsee aus erreichte am 20. Juni 1944 zum ersten Mal überhaupt eine Rakete den Weltraum. Die A4-Rakete flog 174,6 Kilometer hoch. Später wurde sie von den Nationalsozialisten im Krieg eingesetzt. Propagandaminister Joseph Goebbels gab ihr einen neuen Namen: V2, für "Vergeltungswaffe".
Sie startete später als ballistische Rakete von mobilen Startrampen. Ihren Sprengköpfen fielen bis zu 8.000 Menschen in London und anderen Städten zum Opfer. Auch beim Bau starben fast 20.000 Zwangsarbeiter.
Der Peenemünder Startplatz wurde von der britischen Luftwaffe in der "Operation Hydra" und weiteren Angriffen zerstört. Bis zum Ende der DDR war das Gelände nahe der polnischen Grenze Sperrgebiet, heute ist es teilweise Museums-Areal.
Von der Atomwaffe zum friedlichen Astronauten-Transporter
FAQs zum deutschen Weltraumbahnhof
Der geplante Weltraumbahnhof liegt mitten in der Nordsee. Laut einer Konzeptstudie würde ein Spezialschiff mit einer Rakete beladen in das Startgebiet fahren. Dort würde die Raketen aufgerichtet und abheben
Bisher gibt es keine deutschen Raketen. Aber gleich 3 Unternehmen sind dabei, Kleinraketen zu konstruieren. Die erste soll schon kommendes Jahr abheben.
Weltraumbahnhöfe sind äußerst gefährliche Orte. Raketen bestehen fast nur aus explosivem Treibstoffen. Es sind Hunderte Explosionen, Abstürze und zahlreiche tödliche Unfälle dokumentiert. 2003 explodierte bspw. eine Rakete auf einer brasilianischen Startrampe, 21 Menschen starben.
Deutschen Kleinraketen ständen gleich mehrere Startplätze in der EU zur Verfügung. Für deutsche Unternehmen wäre ein eigener Startplatz aber praktisch, da der Aufwand für Exportgenehmigungen entfiele. Vermutlich kämen jedoch andere Genehmigungsverfahren hinzu.
Die Auswirkungen auf die Umwelt wären vermutlich zunächst gering - Lärm und Raketenabgase. Das liegt vor allem daran, dass zumindest in den Anfangsjahren nur sehr selten Raketen starten würden. Das dürften aber bald schon zahlreiche Gutachten zur Umweltverträglichkeit klären.