Echter Neustart oder nur "Placebo"? Die Bilanz des Impf-Gipfels
- Veröffentlicht: 02.02.2021
- 13:15 Uhr
- Carina Neumann-Mahlkau
Liefer-Engpässe, Probleme bei der Termin-Vergabe, EU-Streit mit Herstellern - der Impf-Start in Deutschland war holprig. Auf dem Impf-Gipfel suchte die Bundesregierung nach Lösungen. Wie können die aussehen? Und was ist die Bilanz nach dem Gipfel? Im Clip: Corona-Mutationen im Fakten-Check.
Das Wichtigste zum Thema Impf-Gipfel
Nach Kritik und Engpässen tagte die Bundesregierung am 1. Februar in Berlin, um die Impf-Situation in Deutschland zu verbessern. Per Video-Konferenz waren auch Vertreter der Impfstoff-Hersteller und der EU-Kommission dabei.
Die bisherigen Probleme: Die Termin-Vergabe läuft teils chaotisch, es kommt zu Verzögerungen - und der Impfstoff ist rar.
Das sorgte für Streit: Zu wenig Impfstoff bestellt, lautet die Kritik an der EU. Aber auch die Hersteller mussten sich rechtfertigen.
So teilte das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca überraschend mit, es könne im ersten Quartal nur 31 Millionen statt 80 Millionen Dosen Impfstoff an die EU liefern.
Auch bei Biontech gab es Liefer-Engpässe - wegen Werksumbauten, so der Konzern. Kurz vor dem sogenannten "Impf-Gipfel" kamen von den Herstellern aber positive Signale. Welche, liest du weiter unten.
Da geht noch mehr: AstraZeneca und Biontech versprechen mehr Impfdosen
Kurz vor dem Impf-Gipfel gab es eine Überraschung: AstraZeneca sicherte der EU 9 Millionen Impfdosen mehr im ersten Quartal zu. Insgesamt also 40 Millionen Impfdosen - also die Hälfte der ursprünglich vereinbarten Menge. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides sprach dennoch von einer guten Nachricht und einem Schritt nach vorn.
Auch Biontech überraschte mit der Aussicht, im zweiten Quartal zusätzlich 75 Millionen Impfdosen an die EU auszuliefern.
Warum dauert das eigentlich so lange? Mehr zum Impfstoff-Streit liest du hier
Richtiger Weg oder "Beruhigungspille"? Die Meinungen gehen auseinander
Bundes-Gesundheitsminister Spahn warnte im Vorfeld vor "übertriebenen Erwartungen" an den Impf-Gipfel: Man müsse realistisch bleiben. Wichtig sei, bei dem Spitzentreffen ein einheitliches Bild zu bekommen, wo die Schwierigkeiten lägen und wo die Politik helfen könne.
Laut Bundesgesundheitsministerium wurden in Deutschland bereits mehr als 1,8 Millionen Menschen geimpft - rund 94.000 am Tag. In Europa erhielten bisher rund 370 Millionen Bürger das Vakzin - laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen "eine stattliche Zahl".
Nach dem Impf-Gipfel ist die Politik dennoch gespalten: Harte Kritik kommt vor allem von den Linken, der FDP und den Grünen, aber auch von Verbandsvertretern: Der Impf-Gipfel sei ein "Impf-Placebo", eine "Beruhigungspille" und die "Steigerung der Unverbindlichkeit."
Die Bundesregierung gibt sich hingegen optimistisch: Ziel der Bundeskanzlerin ist, bis zum Spätsommer jedem Bürger ein Impf-Angebot machen zu können - und Spahn rechnet bis zu diesem Zeitpunkt sogar mit einer möglichen Herden-Immunität.
Außerdem gebe es ab dem 2. Quartal bedeutend mehr Impfstoffe - Tendenz steigend.
Das waren die Themen des Impf-Gipfels
📅 Mehr Planungs-Sicherheit, realistische Zeitpläne, Prioritäten bei den Bevölkerungsgruppen und mehr verfügbare Impfdosen - das sind die Forderungen zahlreicher Politiker und Verbandsvertreter.
💉 Nach den Präparaten von Biontech und Moderna wurde der von AstraZeneca in der EU kürzlich als 3. Impfstoff zugelassen. In Deutschland empfiehlt die "Ständige Impfkommission" das Vakzin aber nur für Menschen unter 65 Jahren - bei Älteren sinkt die Wirksamkeit.
📝 Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will deshalb die Impf-Verordnung ändern. Die Änderung soll ab 8. Februar gelten.
🆘 Einige Grünen-Politiker und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fordern eine "Not-Impfstoffwirtschaft" mit stärkeren staatlichen Eingriffen und ausgeweiteter Impfstoff-Produktion. Dieser Appell sorgt für Diskussionen.
🌏 Impfstoffe aus Russland und China? Die sind laut Spahn und Bundesrats-Mitglied Dietmar Woidke nicht ausgeschlossen.
😷 Das Argument: Nach einer ordentlichen Prüfung könnten sie den Impf-Prozess in der EU und auch in Deutschland beschleunigen.
Diese Lösungen wurden auf dem Gipfel vorgeschlagen
📝 Der Bund plant ein neues Gremium zur besseren Koordinierung der Impfungen - einen sogenannten "Bund-Länder-Impfstab".
📋 Die Länder verlangten von Jens Spahn, als ersten Schritt einen konkreten Impf-Plan für Deutschland vorzulegen. Der soll bis zum nächsten Corona-Gipfel am 10. Februar ausgearbeitet werden.
❓ Wer wird zuerst geimpft? Die Priorisierung der Risiko-Gruppen soll mit Blick auf den aktuellen Forschungsstand noch einmal neu eingestuft werden.
😷 So sollen auch Diabetiker mit hohen Blutzuckerwerten, Menschen mit chronischen Leber- oder Nierenerkrankungen und schweren chronischen Lungenerkrankungen eine Impfung mit hoher Priorität erhalten.
👵 Auch Menschen ab 70 sollen zukünftig eine höhere Priorisierung erhalten als zuvor.
💉 Der Pharma-Konzern Bayer und sein Kooperationspartner, die Biotechnologie-Firma "CureVac", sicherten außerdem zu, bis circa Ende 2021 den neuen Impfstoff "CureVac" zu liefern.
🌞 Läuft alles nach Plan, soll bis zum Ende des Sommers allen Bürgern ein Impf-Angebot gemacht werden - so das Ziel der Bundesregierung.
Mehr Transparenz: Alle Verträge mit den Impfstoff-Herstellern sollen auf den Tisch
Abseits des Gipfels fordern Politiker: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll zu einer "kritischen Befragung" in den Bundestag kommen. Man brauche mehr Transparenz und Fakten zur europäischen Impfstoff-Kampagne.
„Um zu bewerten, ob Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Fehler zu verantworten hat, müssen alle Verträge mit Herstellern auf den Tisch", forderte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans.